Spritzen, Urin

Anrainer von Notschlafstelle: „Sind verzweifelt!“

Tirol
11.01.2020 12:00
Drogenkonsum auf offener Straße, Urinieren neben Kinderspielplätzen, lautstarke Diskussionen und Schlägereien zu jeder Tages- sowie auch Nachtzeit – die Nachbarn der Mentlvilla Innsbruck, Notschlafstelle bzw. Tageszentrum, wissen sich nicht mehr zu helfen. Ein Hilfeschrei!

Die Situation rund um die Mentlvilla im Stadtteil Wilten, die von der Caritas Tirol betrieben wird, ist nicht neu. Viel wurde darüber bereits diskutiert. Info-Abende fanden statt, ein Alkoholverbot wurde umgesetzt und mit der Katharina-Stube sowie dem Nikado wurden neue Kontakt- und Anlaufstellen für wohnungslose und bedürftige Menschen bzw. Alkoholkranke ins Leben gerufen – mit dem Ziel, das Klientel zu entflechten und auf die Stadt aufzuteilen.

„Keine Verbesserung in Sicht“
„Wir spüren jedoch keine Verbesserungen. Die Situation ist für uns noch immer unerträglich“, erklären einige Mentlvilla-Anrainer, die die „Tiroler Krone“ vor einigen Tagen zu einem Lokalaugenschein eingeladen haben. Die Szenen, die wir erlebt haben, sind leider mehr als nur bedenklich!

Direkt neben einem Kinderspielplatz haben wir eine benutzte, blutige Spritze entdeckt. „Sie liegt hier bereits seit sieben Wochen“, sagten die Anrainer und verdeutlichten: „Im Komfüdro, dem Kommunikationszentrum für Drogenabhängige, das sich im Erdgeschoß der Mentlvilla befindet, dürfen die Suchtkranken nicht konsumieren. Daher tun sie das regelmäßig völlig ungeniert vor unser aller Augen.“

„Drogenkonsum ist das eigentliche Problem“
Neben dieser Spritze fanden wir auch Tabletten und gewiefte Drogenverstecke – etwa beim Haupteingang eines Mehrparteienhauses, in mehreren Gebüschen und in einer Garage. „In Garagen halten sich die Suchtkranken generell gerne auf. Im September erlitten dort zwei Personen eine Überdosis“, erklärten die Anrainer.

An der Wand einer Kirche waren große Flecken von eingetrocknetem Urin zu sehen. „Das ist das öffentliche WC der Suchtkranken. Sie verrichten hier auch hin und wieder ihr großes Geschäft“, verdeutlichten die Anrainer.

Mehrere Whisky-Flaschen lagen herum
Trotz Alkoholverbot lagen auch kleine Whisky-Flaschen herum. Ein sichtlich beeinträchtigtes Paar torkelte die Straße entlang, ein zugedröhnter Mann krachte beim Umdrehen mit seinem Fahrzeug mehrmals gegen den Randstein und ein weiterer Mann verfolgte uns sogar minutenlang.

„Andere laufen mit Schaum vor dem Mund herum“
„Mit solchen Szenen sind wir sieben Tage in der Woche und rund um die Uhr konfrontiert. Heute um die Mittagszeit waren es rund 40 Personen, die auf offener Straße für Unruhe gesorgt haben“, erzählten die Anrainer, „viele von ihnen halten sich mit ihren Kampfhunden bei den Eingängen unserer Häuser auf, sodass sich unsere Kinder nicht mehr vorbeitrauen. Wir müssen sie somit stets abholen. Andere laufen mit Schaum vor dem Mund herum.“

Das Problem sei nicht der Alkohol-, sondern der Drogenkonsum. „Dagegen wird nichts unternommen, wir fühlen uns im Stich gelassen“, betonten die Anrainer.

„Das Tageszentrum bleibt erhalten“
Die Caritas Tirol ist Betreiber der Mentlvilla. Direktor Georg Schärmer geht im Interview auf die Verzweiflung der Anrainer ein und gibt offen zu, dass noch viel Luft nach oben ist. 

„Krone“: Ist Ihnen die Verzweiflung der Anrainer bewusst?
Georg Schärmer: Selbstverständlich. Die Problematik hat weniger mit dem Komfüdro zu tun, sondern ist auf die Verbote, die von der Stadt ausgesprochen wurden, zurückzuführen.

Sind herumliegende, benutzte Spritzen akzeptabel?
Jede herumliegende Spritze ist für uns ein Gräuel, weil das für die Anrainer eine Katastrophe ist. Wir haben ihnen stets angeboten, dass Mitarbeiter unseres Sozialdienstes Spritzen entfernen. Wir sind zwar dafür nicht zuständig, doch wir machen das sehr gerne. Die Anrainer müssen uns nur kontaktieren. Wir haben Verständnis für die Situation, auch weil wir selbst Anrainer sind. Wir wollen, dass Ruhe in diesen Stadtteil einzieht.

Könnte Ruhe einziehen, in dem das Komfüdro - wie es von den Anrainern gefordert wird - abwandert?
Nein. Diese Anlaufstelle werden wir nicht aufgeben. Dieser Ort ist wichtig, damit die Klienten nicht im Verborgenen handeln. Das wäre noch viel problematischer. Zudem wickeln wir im Haus den Spritzentausch ab. Das heißt, dass der größte Teil der Spritzen von uns sachgemäß entsorgt wird. Das Land Tirol erspart sich laut einer neuen MCI-Studie dadurch rund neun Millionen Euro.

Was wären für Sie plausible Lösungsvorschläge?
Der Spritzenautomat, der sich direkt neben unserer Einrichtung befindet, sollte an einen anderen Platz verlegt werden. Außerdem benötigt es eine weitere Anlaufstelle, damit die Szene noch mehr entflechtet und verteilt wird. Auch eine medizinische Einrichtung fehlt nach wie vor. Die Liste der Notwendigkeiten, um die Lage zu verbessern, ist noch lang.

„Für Drogenkranke gibt es noch einiges zu tun“
Für Innsbrucks Vizebürgermeister Franz X. Gruber sei rund um die angespannte Lage der Mentlvilla schon viel passiert. Dennoch stellt er weitere Maßnahmen in Aussicht. „Mit der Katharina-Stube und dem Nikado haben wir eine Entflechtung des Klientels herbeigeführt. Das zeigen die Nutzungszahlen bei den Einrichtungen. Und das eingeführte Alkoholverbot rund um die Mentlvilla ist auch notwendig, weil wir aus Sicherheitsgründen eine bessere Handhabe haben. Ich habe aber auch ständig betont, dass das nicht die Lösung des Problems ist“, verdeutlicht Gruber.

Doch wie kann die Situation entspannt werden? „Zuerst werden wir heuer den Spritzenautomaten an einen anderen Standort verlegen - nicht direkt im Bereich der Wohnbevölkerung. Ich habe dafür zwei Standorte im Auge, das muss allerdings noch gründlich abgeklärt werden“, schildert Gruber.

Eine „wirkliche Entspannung“ sei erst herbeizuführen, wenn eine zweite Einrichtung für Drogenkranke etabliert werden könne, wie der Vizebürgermeister erklärt. „Derzeit haben wir zwar weder einen Standort noch einen Betreiber oder ein beschlossenes Konzept,Ziel ist aber, dass wir diese Maßnahme im Laufe des ersten Halbjahres 2020 umsetzen“, erklärt Gruber. Für Alkoholkranke habe die Stadt viel zustande gebracht, für Drogenkranke sei noch einiges zu tun.

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