Nach Ostöffnung

Experte: Der normale Bürger profitiert kaum

Österreich
10.11.2009 07:28
"Österreich hat von der Ostöffnung profitiert!" Dieser Satz wird von österreichischen Regierungspolitikern und Wirtschaftstreibenden gerne benutzt, wenn es um die Entwicklung seit dem Wendejahr 1989 in den ehemals kommunistischen Ländern geht. Ganz so simpel ist die Sache aber nicht, wie Dieter Stiefel vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien meint. Für den Durchschnittbürger sehe die Lage nämlich nicht so rosig aus.

"Die Gewinne und das Kapital der Unternehmen sind angewachsen, aber die Masseneinkommen sind nicht entsprechend gestiegen." Daher müsse man die Feststellung konkretisieren, erklärte der Historiker. 

"Der - wenn auch noch gebremste - Zuzug von Arbeitskräften und die tatsächliche oder angedrohte Verlagerung der Produktion in die Niedriglohnländer wirkten sich auf die heimische Lohnentwicklung aus. Vor allem bei einfachen Tätigkeiten. So ist es nicht erstaunlich, dass viele Österreicher für sich persönlich keinen materiellen Vorteil aus der Ostöffnung sehen und ihr skeptisch gegenüber stehen." Zumal die realen Löhne in Österreich in den vergangenen 15 Jahren nicht gestiegen seien, die Unternehmensgewinne hingegen deutlich.

Nur gedämpfter Optimismus in der Alpenrepublik
Die jetzige weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise habe die osteuropäischen Staaten hart getroffen, zumal sie selbst kaum die finanziellen Mittel für "Konjunkturpakete" haben, analysierte Stiefel. EU und Weltbank bieten die einzige Unterstützung. Dennoch blicke man in Österreich mit (gedämpftem) Optimismus in die Zukunft. Die Ostländer haben immer noch einen hohen wirtschaftlichen Nachholbedarf und die österreichischen Unternehmen haben dort Organisationen aufgebaut, die ihnen nach der Krise weiter eine starke Stellung sichern.

Ostöffnung "kam zum rechten Zeitpunkt"
Prinzipiell habe Österreich mit der Ostöffnung 1989 Glück gehabt: "Sie kam zum rechten Zeitpunkt. Wäre sie Ende der 1960er-Jahre erfolgt, etwa zur Zeit des Prager Frühlings, so wäre die österreichische Wirtschaft bei Weitem noch nicht imstande gewesen, eine starke Rolle in diesen Ländern zu übernehmen." Bis in die 1990er-Jahre aber hatte Österreich den Anschluss an die führenden Industrieländer gefunden und verfügte über die entsprechenden Managementkapazitäten und Kapitalressourcen. Man hatte lange genug gewartet, bis Österreich reich und wirtschaftlich effizient geworden war.

Österreich hatte aber auch in der Zeit der "sozialistischen Planwirtschaften" mehr als andere "westliche" Länder die Kontakte gehalten und war daher bereits gut vertreten. "Nun aber tat sich direkt vor der Haustür ein großer Markt auf, in dem österreichische Banken und Unternehmen als 'first mover' eine zentrale Stellung aufbauen konnten. Zusätzlich wählten zahlreiche multinationale Unternehmen Wien als Standort für ihre Head Quarters Osteuropa und auch die Universitäten, wie die WU Wien, können inzwischen auf ihre Ostkompetenz verweisen."

Österreich durch "Ostfaktor" internationaler geworden
Österreich habe diese Chance genutzt, meint Stiefel, und jedem Kritiker müsse man entgegen halten: "Was würden Sie sagen, wenn man diese Möglichkeiten verschlafen hätte?" Die Wirtschaftsforschung ist sich daher einig, dass die österreichische Wirtschaft durch den "Ostfaktor" internationaler geworden ist und sich das Wirtschaftswachstum in den vergangenen zwei Jahrzehnten dadurch erhöht hat.

"Aber kein Vorteil ohne Nachteil", so Stiefel. Einmal ist die "Sonderrolle" vorbei, die man vor 1989 in diesen Ländern spielen konnte. "Heute ist Österreich dort ein Land wie jedes andere und der Wind der Konkurrenz ist ohne Zweifel schärfer geworden."

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