Regisseur Emre Akal dreht „Die Tragödie von Romeo und Julia“ am Schauspielhaus Graz bildgewaltig und wortkarg durch den Fleischwolf und erschafft gemeinsam mit den Bühnenbildnern Mehmet & Kazim sowie Kostümen von Lara Roßwag ein gewagtes visuelles Kunstwerk. Beim Publikum polarisiert die Inszenierung – es gab Buh-Rufe, aber auch Applaus.
Verona in Graustufen, eine Welt wie aus Plastilin modelliert. Hier die fahlen Gesichter der Montagues, da jene der Capulets, „zwei Familien von gleichem Stand“, wie es zu Beginn immer wieder heißt, „wo alter Hass setzt neue Wut in Brand“. Verfremdung ist auch in seiner zweiten Inszenierung am Grazer Schauspielhaus Emre Akals Mittel der Wahl: Die optische Täuschung in schwarz-weiß auf der Bühne von Mehmet & Kazim mit den beeindruckenden Kostümen von Lara Roßwag gelingt perfekt. Es regnet, es grummelt, der Mond leuchtet, während die beiden Familien wie gespiegelt vor sich hin leben.
Dieser Shakespeare-Klassiker ist keine Liebes-, sondern eine Hassgeschichte. Die Amme, die Eltern, Mercutio, Benvolio und Tybalt – tolle Ensembleleistung von Luisa Schwab, Anke Stedingk, Anna Klimovitskaya, Franz Solar, Anna Rausch, László Branko Breiding – sind Spielfiguren in einer Guckkastenbühne des Grauens. Akal fokussiert hypnotisch auf kleine, sich wiederholende Gesten – das Kämmen der Haare, das Einschenken zu Tisch – die akustisch verstärkt werden. Die Bühne dreht und dreht und dreht, schemenhafte Szenen reihen sich aneinander.
Mario Lopatta und Luiza Monteiro spielen die „star-crossed lovers“ als unsichere Kinder, bebend vor Lust und Liebe. In der berühmten Balkonszene färbt sich die monochrome Welt rosa – ein Moment, auch aufgrund der musikalischen Gestaltung von Komponist Enik ebenso wunderbar wie die zärtliche Annäherung des Liebespaares in grauen Nacktkostümen. Letztlich kennen Romeo und Julia aber nur die Sprache der Gewalt, die ihre Familien ihnen vorleben – und gehen selbst bis zum Äußersten. Zum Schluss stehen neben dem Fleischwolf vier schwarze Säcke.
Tausendfach inszeniert und doch neu
„Romeo und Julia“, durch den Fleischwolf gedreht? Gerade was den Text betrifft, kürzt Akal radikal. Es gibt nur wenige Dialoge, und die sind bruchstückhaft und teilweise umgeschrieben. Das ist schade, denn was gesprochen wird, entwickelt eine immense Sogwirkung. Die distinktive Ästhetik der Ausstattung ist gewaltig, aber irgendwann hat man sich daran satt gesehen.
Nicht jeder im Publikum goutiert Akals Interpretation – es gibt Buh-Rufe für das Regieteam, ein für Graz recht seltenes Phänomen, aber auch höflichen Applaus für das Ensemble. Doch welcher Klassiker, wenn nicht die bekannteste Liebesgeschichte der Welt, eignet sich für eine derartige Verfremdung bis an den Rand der Unkenntlichkeit? Mit einem solchen Text und so gut wie ohne aktuelle politische Referenzen zu provozieren, ist eine Leistung für sich, der Würdigung gebührt. Emre Akal gewinnt dem tausendfach gespielten Drama Neues ab. Und damit ist dieser Shakespeare – trotz mancher Schwächen – in Summe gelungen.
„Die Tragödie von Romeo & Julia“ nach William Shakespeare. Weitere Termine am 22., 29., 31. Oktober; 6., 8., 22. November; jeweils um 19.30 Uhr im Schauspielhaus Graz.
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