Fünf Jahre lang litt David Meissnitzer in einem Konzentrationslager, ihm wurde alles weg genommen. Jetzt kam die Uhr des Steirers zurück. Sie funktioniert sogar noch...
Auf dem Tisch im hübschen Wohnzimmer des Ehepaares Meissnitzer in Selzthal liegen Briefe. Ein Dutzend zirka, in ordentlicher Handschrift, sauber verfasst. „Es geht mir gut“, steht in einem geschrieben – auf dessen Kuvert „zensuriert“ steht.
Einen davon dürfte David Meissnitzer aus Admont wohl heimlich irgendwie geschickt haben. Darin schreibt er deutlich, dass es ihm gar nicht gut ginge. Dass er sich auch nach der Familie verzehre, der Heimat. Nach der Heuarbeit sogar. Zu sehr wollte er die Verlobte zu Hause wohl nicht ängstigen, ihr Herz nicht so schwer machen – seine Verzweiflung liest man aber zwischen den Zeilen. Sie ist herzzerreißend.
Hitler wollte sie vernichten
Und dennoch hätte der Steirer niemals seine überzeugte Glaubenshaltung aufgegeben. Erst 1935, mit 27 Jahren, war er den Zeugen Jehovas beigetreten – diese sollten in Folge zu einer massiv verfolgten Gruppe werden. Weil sie dem NS-Regime Widerstand leisteten, sich weigerten, zu töten, den Arm nicht zum Hitlergruß streckten. „Nur 800 Mitglieder gab es in Österreich“, weiß Franz Michael Zagler, engagierter Sprecher des Vereins „Lila Winkel“, der die Aufarbeitung der Schicksale im Fokus hat. „Die Zeugen Jehovas waren die ersten, die in Konzentrationslager kamen, 154 wurden ermordet oder starben an den Folgen brutaler Behandlung. Hitler wollte diese ,Brut´ ausrotten.“
David Meissnitzer musste all seine Habseligkeiten abgeben, einen Anzug, einen Mantel, Schuhe, eine Taschenuhr und hundert Reichsmark. Während er im Lager war, nach Mauthausen war es Neuengamme bei Hamburg, wurde er zu schwerster Arbeit gezwungen, hungerte, war ständig verletzt, musste, als wäre das alles nicht Trauma genug, Leichen nach Bombardements bergen. „Er hat nicht geglaubt, dass er Neuengamme lebend verlassen würde“, schildert sein Sohn Hans heute. In der Not aß er Schnecken und Knochen, die zuvor von Hunden abgenagt worden waren, oder fischte ölverschmiertes Brot aus dem Hafenwasser in Hamburg. Aber er überlebte.
David Meissnitzer gründete später eine Familie, hatte vier Kinder, liebte alle sehr. Viel erzählt hat er über die Gräueltaten nicht; wie es in ihm drin aussah, das wusste nur er selbst.
Einen Anzug, einen Mantel, Schuhe, eine Taschenuhr und 100 Reichsmark – das hatte er zurück lassen müssen, das war damals sein ganzer Besitz. Und dann kam im Mai 2025, 85 Jahre später und kurz, bevor sich sein Todestag heuer jährt, ein Paket beim Sohn an.
Darin: eine Uhr. Die Taschenuhr seines Vaters.
„Ich konnte das gar nicht fassen, habe sie den ganzen Tag in der Hand gehalten“, schildert Hans, während Gattin Heidi bestätigt, dass viele Tränen geflossen seien. So viele Jahrzehnte später, ist hier ein Gruß seines Vaters. Die Uhr Marke Kienzle. Sie funktioniert sogar!
Aber wie kann das sein? „Was den Opfern abgenommen wurde, haben die Nazis erst verstaut“, das wanderte dann in die sogenannten Arolsen-Archive, eine Sammlung, die zum Unesco-Weltdokumentenerbe gehört. „Und erst ab dem Jahr 2016 ist man dazu übergegangen, eventuelle Erben auszuforschen und Besitztümer zurück zu geben“, hat Zagler in Erfahrung gebracht. So fand die Uhr, nach dieser unfassbar langen Zeit, nach all den Wirren, Umwandlungen, dem Chaos und Horror des Krieges, tatsächlich zurück in den Selzthaler Haushalt.
Die Uhr wird nun gehegt und gepflegt und sicher verwahrt. Jeden zweiten Tag wird sie mit viel Bedacht aufgezogen. Und dann denkt Hans an seinen Vater. Der eher gestorben wäre, als seinen tiefen Glauben zu verraten oder Menschen zu töten.
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