Kunst-Detektive sind im Brenner-Archiv in Innsbruck am Werk. Sie fahnden nach Winzigkeiten des Tiroler Künstlers Ottmar Zeiller. Dessen Werk ist wenig dokumentiert. Die Forscher hoffen bei ihrer großen Schatzsuche in Zeillers Mini-Universum auf private Sammler.
Wie klein darf eine Skulptur sein? Jene von Ottmar Zeiller (1868–1921) sind selten größer als zwei Zentimeter. Sie passen in eine Pillendose, eine Streichholzschachtel oder in den Reisekoffer von Barbie und Ken.
Kleine Dinge werden leicht übersehen. Vielleicht ist der im heutigen Südtirol geborene und zuletzt in Hall lebende Bildhauer und Holzschnitzer deshalb etwas in Vergessenheit geraten. Nicht so bei Annette Steinsiek. Die Literaturwissenschafterin und Kunsthistorikerin sitzt im Innsbrucker Brenner Archiv und sprüht nur so vor Begeisterung für das Universum von Ottmar Zeiller. Eine Liliput-Welt mit Weiten, die es erst zu entdecken gilt. Wenn Annette Steinsiek ihre Passion für dieses Thema erklären muss, tut sie es poetisch. „Ich habe für Winzigkeiten und Details von jeher ein Faible. Wohl weil die Menschheit und zu viele Individuen dazu neigen, sich auszubreiten“, erklärt sie und lenkt den Blick auf ein Detail in der Hand eines Zeiller-Däumlings: Ein Holzbalken, umschlungen von Armen im Millimeter-Format. „Der Balken lässt sich bewegen“, demonstriert die Forscherin begeistert.
Aufwendige Suche nach Figuren in Privatbesitz
Doch jetzt zur Herkulesaufgabe, der sich Steinsiek mit einem kleinen, engagierten Team verschrieben hat. Die Welt von Ottmar Zeiller soll endlich umfassend beleuchtet und dargestellt werden. Gerade entsteht ein digitaler Katalog des bildhauerischen Werkes des Künstlers, seine Zeichnungen bleiben jedoch ausgespart. Die Vermessung von Zeillers Welt ist kein leichtes Unterfangen, ist doch das künstlerische Erbe des Bildhauers weit versprengt. Öffentliche Besitzer wie das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, das Volkskunstmuseum und das Stadtmuseum Hall sind längst kontaktiert, ihre Exponate erfasst. Doch es schlummern – davon sind die Forscher überzeugt – noch etliche Schätze in privaten Sammlungen. Steinsiek erzählt von einer Figur, auf die sie über Umwege aufmerksam wurde – der Winzling thronte in einem Reagenzglas auf einem Ledersockel. Er ist mittlerweile ebenso katalogisiert wie rund 250 seiner Brüder und Schwestern. Die Kunst-Detektive sprechen von „zumindest 40 weiteren Figuren“, die noch nicht aufgespürt sind, die sie aber gerne in die digitale Sammlung aufnehmen würden.
Im Medizinstudium Blick für Anatomie geschult
Die Spur von Ottmar Zeillers Werk hat viele Verästelungen. Seinen Blick für den menschlichen Körper schult der Sohn eines Landrichters im Medizinstudium, das er 1894 abschloss. Dann wendet er sich der Kunst zu, eröffnet in Berlin eine Zeichenschule und beginnt, kleine Männchen zu schnitzen. Später wird er Lehrer in der Grödner Schnitzschule und heiratet die Künstlerin Maria Zeiller-Uchatius, die es zu größerer Bekanntheit bringt als ihr Mann. Das Paar trennt sich nach dem Ersten Weltkrieg. Das und der Tod der Mutter setzen dem damals 51-Jährigen derart zu, dass er schwer erkrankt und ein Jahr später in Innsbruck stirbt.
Der „ausgewachsene Kerl“ und seine Däumlinge
„Da hat ein ausgewachsener Kerl, als alle nur noch von Monumentalität redeten, der Zeit zum Trotz seine durchaus lebensgroßen plastischen Gedanken im Däumlingsformat verwirklicht“, schreibt Maler und Kunstpublizist Wilfried Kirschl in einem Zeitungsbeitrag 1971 zum 50. Todestag Zeillers. Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in der Freundschaft mit Maler Albin Egger-Lienz – einer von Zeillers Künstler-Freunden – wider. „Zeiller hat sich um den Kunstbetrieb nicht wirklich geschert“, konstatiert Steinsiek. Was die Spurensuche nicht einfacher macht: Der Künstler ließ seine Figuren ohne Namen und erklärte sich selbst kaum.
Schwer zu fassen sei diese Persönlichkeit, meint Steinsiek. Ausgangspunkt war ihr ein Katalog, den Kollegin Erika Wimmer für eine Ausstellung 1996 verfasst hat. Wimmer hat dafür in öffentlichen und privaten Sammlungen Exponate gesucht – sie fand 314 Stück. Darunter zahlreiche Krippenfiguren inklusive einer stattlichen Kuhherde. Denn auch für dieses in Tirol so wichtige Metier der Weihnachtskrippen hat Zeiller Personal geliefert. Wimmers Fotodokumentation aller dieser Figuren wird im Forschungsinstitut Brenner-Archiv bewahrt und dient Steinsiek als wichtige Quelle.
Die Figuren werden auf einem Drehteller gefilmt
Das zweidimensionale Medium Papier wird nun in die dritte Dimension überführt. Gemeinsam mit IT-Spezialist Ulrich Lobis wurde ein Programm entwickelt, um Zeillers Figuren von allen Seiten betrachten zu können. Steinsiek setzt sich an den Computer und spricht über die Intentionen: „Es geht uns darum, die Figuren auf ihre tatsächliche Größe verkleinern und andererseits Details vergrößern zu können.“ Der Betrachter kann die Winzlinge umrunden. Möglich ist das, weil sie auf einem Teller in der 360-Grad-Drehung gefilmt wurden. Ein großer Aufwand, der sich lohnt.
Noch haben die Kunst-Detektive nicht alle Schätze gehoben. Sie hoffen auf den einen oder anderen „Krone“-Leser, der daheim eine kleine, große Kostbarkeit von Ottmar Zeiller stehen hat und das Kunstwerk im digitalen Katalog aufgenommen sehen möchte.
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