Mediziner erklärt

Nach Penis-Transplantation – „fast alles möglich“

Tirol
13.08.2023 12:00

In den USA hat der Tiroler Mediziner Gerald Brandacher Pionierarbeit geleistet. Jetzt kehrt er zurück und spricht über bislang ungeahnte Möglichkeiten in der Transplantationsmedizin und die weltweit erste vollständige männliche Genitaltransplantation, bei der er federführend dabei war. 

Noch lebt der Tiroler Transplantationschirurg und Forscher Gerald Brandacher in den USA. Dort war er federführend bei der weltweit ersten vollständigen männlichen Genitaltransplantation (Anm. Penis samt Hodensack) für einen im Krieg verwundeten Soldaten dabei. Vor seiner Rückkehr an die Medizin-Uni Innsbruck im September sprach Brandacher mit der „Krone“ über die Zukunft der Transplantationsmedizin.

Krone: Herr Brandacher, fünf Jahre ist die außergewöhnliche Penis-Transplantation her. Wie geht es dem Patienten heute?
Gerald Brandacher: Der Patient war kürzlich für eine Kontrolluntersuchung bei uns. Es geht ihm sehr gut. Er fühlt sich - wie er es ausdrückt - wieder ganz und normal. Das ist das größte Kompliment, das wir in der rekonstruktiven Transplantationsmedizin bekommen können. Die Ziele der Operation waren, Form und Funktion zu ersetzen. Beides haben wir erreicht. Eine Operation wie diese wird immer die große Ausnahme bleiben, doch sie hat gezeigt, dass heute fast alles möglich ist.

Lässt sich mittlerweile also jeder Körperteil, jedes Organ transplantieren?
Chirurgisch-technisch gibt es praktisch keine Limitation mehr. Die Grenzen sind immunologischer Natur. Dort, wo Organe vom Körper des Empfängers abgestoßen werden. Um das zu verhindern, müssen heute Patienten ein Leben lang Medikamente nehmen. Das ist eine Belastung für den Organismus und hat Nebenwirkungen. Neueste Forschungen zeigen nun, dass es Alternativen gibt.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte befasst sich mit diesem Thema. Ist es denkbar, dass Patienten künftig keine Immunsuppressiva gegen die Abstoßungsreaktion mehr nehmen müssen?
Es gibt berechtigte Hoffnung, dass diese Langzeittherapie minimiert werden kann oder sogar überflüssig wird. Dazu möchten wir auch in Innsbruck Akzente setzen. Es gibt einen Paradigmenwechsel weg von der klassischen Medikamenten-Therapie hin zu einer zellbasierten Immuntherapie.

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Durch die neuen Methoden kann es möglich werden, Patienten zu transplantieren, die derzeit noch nicht infrage kommen, weil für sie die Immunsuppression zu belastend wäre.

Gerald Brandacher

Wie funktioniert diese?
Es gibt mehrere Ansätze. Bei der gängigsten Methode werden Immunzellen des Spenders in den Empfänger infundiert. Damit hat man sozusagen zwei Immunsysteme in einem Individuum. Diese Systeme können miteinander interagieren, sich im Prinzip in Balance halten und die Abstoßung verhindern. In klinischen Studien ist das bereits geglückt. In der Forschung geht es nun darum, dieses Miteinander zu stabilisieren.

Was bedeutet das für die Entwicklung der Transplantationsmedizin?
Durch die neuen Methoden kann es möglich werden, Patienten zu transplantieren, die derzeit noch nicht infrage kommen, weil für sie die Immunsuppression zu belastend wäre – zum Beispiel Patienten nach einer Tumordiagnose. Gelingt es uns, die Abstoßungseffekte ohne Medikamente in den Griff zu bekommen, können wir zudem deutlich mehr Transplantationen erwägen, auch bei Kindern. Ich denke hier etwa an funktionale Einheiten im Gesicht, die schwer zu rekonstruieren sind, etwa Augenlider, Teile der Lippe oder Ohren. Noch ist in diesen Fällen eine Transplantation keine Option, wenn man dafür ein Leben lang Immunsuppressiva nehmen muss.

Das Transplantationszentrum Innsbruck besitzt international einen ausgezeichneten Ruf. Doch für Forscher ihres Formats gelten die USA als idealer Boden. Warum die Rückkehr nach Tirol?
Innsbruck war und ist ein innovatives Zentrum. Früher durch die Initiative von Professor Raimund Margreiter, heute durch Klinik-Direktor Stefan Schneeberger. In den USA habe ich akademisch alles erreicht, was es zu erreichen gab. Ich habe ein international renommiertes Forschungsprogramm aufgebaut und war bei der in Amerika ersten Doppelhand-, sowie bei der ersten Armtransplantation und der erwähnten weltweit ersten kompletten männlichen Genitaltransplantation dabei. Der Ruf aus Innsbruck ist für mich jetzt eine neue Herausforderung und die Chance, Forschung noch näher in den klinischen Alltag einzubeziehen. Nicht zuletzt ist es auch eine einzigartige Möglichkeit, zurück zu meinen Wurzeln, in meine Heimat zu kommen. So eine Chance bekommt man nicht oft im Leben.

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