Grazer Schauspielhaus

Oscar Wilde: Sprache als Versteck & Rettungsanker

Steiermark
24.09.2022 13:00

„Ernst sein ist alles oder Bunbury“ ist die wohl berühmteste Komödie des irischen Schriftstellers Oscar Wilde, in dem er die sozialen Konventionen der viktorianischen Gesellschaft ad absurdum führt. Claudia Bossard arbeitet in ihrer Bearbeitung, welche am Freitag die neue Saison am Grazer Schauspielhaus eröffnet hat, heraus, wie Wilde in dieser Komödie die Sprache zum Versteck, aber auch zum Rettungsanker für verbotene Leidenschaften macht.

Mit seinen bissigen Bonmots gilt Oscar Wilde heute als Großmeister der Ästhetik, als König der Oberflächlichkeit. Und in keinem anderen seiner Stücke ist die Dichte an humorigen Zitaten für die Ewigkeit so groß wie in „Ernst sein ist alles oder Bunbury“. Mit zeitlosem Sprachwitz arbeitet er sich in der Komödie über zwei Männer, die vorgeben ein anderer zu sein, um ihren Leidenschaften nachgehen zu können, am engen Korsett der Konventionen im viktorianischen England ab.

Profunde Wahrheit unter der schillernden Oberfläche
Doch wer hinter die grelle Oberfläche blickt, erkennt schnell, dass Wilde in diesem Stück eigentlich auch eine profunde Wahrheit seiner eigenen Biografie verhandelt hat: Die Unmöglichkeit direkt über gleichgeschlechtliche Liebe zu sprechen und die Möglichkeit es in verklausulierten Rollenspielen doch zu machen. Die Sprache, die gleichzeitig Versteck und Rettungsanker ist, macht auch Claudia Bossard zum zentralen Mittel ihrer Inszenierung.

Den Großteil des Stücks hindurch ist die Bühne leer, die Schauspieler jagen in schwarz-weißen Kostümen einen schwarz-weißen Laufsteg (Bühne & Kostüm: Elisabeth Weiß) entlang bis an die Rampe und blödeln sich dort um Kopf und Kragen. Bossards Textbearbeitung belässt einige Passagen im englischen Original, spielt in ihrer Übersetzung mit deren Unübersetzbarkeit, und lässt die Darsteller nicht nur verbal, sondern auch in ihren Bewegungen um soziale Konventionen herumtänzeln (Choreografie: Marta Navaridas).

Tolles Ensemble
Andri Schenardi als Algernon und Frieder Langenberger als Jack sind das schillernde Zentrum der Inszenierung, nicht zuletzt auch, weil sie hinter den verbalen Verrenkungen stets die Leidenschaft füreinander durchblitzen lassen - auch wenn sie eigentlich um Gwendolen und Cecily werben sollen.

Lisa Birke Balzer und Maximiliane Haß spielen dieses weibliche Duo mit viel männlicher Energie: Dosenbier auf Campingstühlen inklusive. Damit unterlaufen auch sie die moralischen Normen, die Evamaria Salcher als Lady Bracknell und Frederik Jan Hofmann als Pastor Chasuble zumindest ansatzweise vorzugeben versuchen. Doch eigentlich hat Katrija Lehmann als Miss Prism diese Konvention schon vor vielen Jahren mit einem fatalen Missgeschick vampirhaft zerfleischt.

Bezüge zu heutiger Identitätspolitik
Dass Bossard in diesem Wilde‘schen Universum von Selbstbespiegelung, Selbstinszenierung und dem Erschaffen alternativer Persönlichkeiten auch ganz viel heutige Identitätspolitik mitschwingen lässt, zählt zu den Stärken dieser Inszenierung. Mitunter kippen sie und ihr Team dabei aber auch ins allzu Offensichtliche, wenn sie etwa Cecilys Besessenheit mit ihrem Tagebuch für einen länglichen Seitenhieb in Richtung literarischem Trend zur Autofiktion verwendet.

Weniger wäre da manchmal mehr gewesen, möchte man sagen. Doch dann erinnert man sich, dass hier Wilde gespielt wird, der von bescheidender Zurückhaltung nun wahrlich nichts wissen wollte und einst gesagt hat: „Man versehe mich mit Luxus. Auf alles Notwendige kann ich verzichten.“

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