Natasha Syvanenko

Kunst im Exil: „Man hat plötzlich nichts mehr“

Steiermark
10.05.2022 19:00

In der Ukraine stand die Regisseurin Natasha Syvanenko am Beginn einer großen Karriere. Dann kam der Krieg und sie musste viel mehr als ihren Job zurücklassen. Am Schauspielhaus Graz hat sie ein künstlerisches Exil gefunden.

„Steirerkrone“: Wie hat Ihr Leben vor dem Krieg ausgesehen?
Natasha Syvanenko: Ich habe schon zu Beginn meines Theater-Studiums im Staatstheater in Kiew zu arbeiten begonnen und konnte dort Inszenierungen machen. In den zwei Jahren vor Kriegsbeginn hatte ich neben den Aufträgen in Kiew auch einen Regie-Posten am Staatstheater in Odessa angenommen und war beruflich und künstlerisch auf einem sehr guten Weg.

Wie schwer war es, die Entscheidung zu treffen, die Heimat zu verlassen?
Der Krieg hat ja schon vor acht Jahren begonnen - aber nur in einem kleinen Teil des Landes. Als wir gehört haben, dass ein größerer Krieg bevorsteht, haben meine Muter und ich Vorbereitungen getroffen und überlegt, wie eine mögliche Flucht aussehen könnte. Aber dann wachst du um 6 Uhr früh von Sirenen und Bombeneinschlägen auf und all diese Pläne sind hinfällig. Ich hatte keine Stunde Zeit für meine Entscheidung, konnte nicht einmal mehr meine Mutter sehen, weil sie am anderen Ende von Kiew war und der Weg zu ihr viel zu gefährlich war. Ich hatte eine Tasche mit einem Paar Jeans, Socken und mein Handy mit mir - mehr nicht. Auch meinen Hund musste ich zurücklassen, er ist bei meiner Mutter.

Wie sind Sie letztlich in Graz gelandet?
Ich hatte Kontakt mit der European Theatre Convention, die mir den Platz in Graz vermittelt hat. Das war ein großes Glück. 

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Viele meiner ukrainischen Künstler-Kollegen hatten diese Chance nicht und warten immer noch auf eine Möglichkeit, irgendwo anzukommen.

Natasha Syvanenko

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie Ihre Produktion „X-Ray durchleuchtet“ als Erstes hier im Grazer Exil zeigen?
Es ist eine relativ kleine Produktion, die man leicht umsetzen kann und die in jedem kulturellen Kontext funktioniert, das war einer der Beweggründe. Aber es ist auch eine Produktion, die von mir psychologisch nicht viel verlangt und für die ich mich in meiner aktuellen Situation stark genug fühle. Aber ich freue mich auch, in der kommenden Saison eine Bürgerbühne über lebensverändernde Ereignisse und das alltägliche Glück zu machen.

Haben Sie ein Gefühl, wie lange Sie bleiben werden?
Nein. Seit dem 24. Februar habe ich mein Gefühl für Zeit verloren. Der Krieg hat das Leben von Millionen Menschen von einen Tag auf den anderen verändert und sie haben keine Möglichkeit mehr, zu dem Zustand vor dem Krieg zurückzukehren. Und auch wenn der Krieg eines Tages vorbei ist und die Ukraine gewonnen hat, wird es dauern, bis die Infrastruktur wieder aufgebaut ist. Und die Kulturszene wird sicher nicht das erste sein, wo das Geld hinfließt.

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Ich habe absolut kein Gefühl für die Zukunft.

Natasha Syvanenko

Ist die künstlerische Arbeit auch eine Art Ablenkung?
Die Bedeutung von Arbeit hat sich für mich völlig verändert. Viele Menschen, die im Krieg leben, und das tue ich als Ukrainerin auch hier in Graz, leiden unter dem Gefühl, ihre Identität verloren zu haben. Man hat von einem Tag auf den anderen nichts mehr, das einen ausgemacht hat – kein Job, keine Freunde, keine Heimat – ist nur noch Flüchtling und Opfer eines Krieges. Wenn man also die Chance hat zu arbeiten, ist das auch ein wichtiger politischer Akt. Es ist ein Zeichen: Es gibt mich noch – als Künstlerin, als Individuum, als Mensch!

Syvanenkos Performance „X-Ray durchleuchtet“ ist am 12. und 13. Mai jeweils um 20.30 Uhr im Schauspielhaus zu sehen.

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