Filzmaier analysiert

Innsbruck: Ein städtisches „Politik-Lehrstück“

Tirol
25.01.2021 11:17

Markus Lassenberger von der FPÖ wurde in der vergangenen Woche zum Innsbrucker Vizebürgermeister gewählt. Auch von Gemeinderäten aus der Regierungskoalition des Bürgermeisters Georg Willi von den Grünen. Jenseits von Personen und ihren Befindlichkeiten ist der Streitfall auch ein politikwissenschaftliches Lehrstück. Eine Analyse von Professor Peter Filzmaier:

Was nun? Ist sich ein Regierungschef wie Willi einer Mehrheit im Gemeinderat nicht sicher, kann man natürlich neu wählen. Um vielleicht klare Mehrheitsverhältnisse zu schaffen. Der Haken ist, dass das Wahlergebnis genauso eine größere Zersplitterung der Volksvertretung sein kann. Zudem steht nirgends geschrieben, dass ein direkt gewählter Bürgermeister sich des Durchwinkens seiner Vorstellungen bei den Gemeinderäten sicher sein muss.

Argumente dafür und dagegen
Es gibt also Argumente für und wider Neuwahlen. Nur sollten sowohl der Bürgermeister als auch die Gemeinderäte aller Parteien zugeben, dass sie strategisch statt inhaltlich überlegen, ob sie dafür oder dagegen sind. Mit taktischen Spielchen, was sie zu gewinnen oder zu verlieren hätten. Grundsätzlich können Wahlen in einer Demokratie nichts Schlimmes sein. Auch nicht, wenn sie vorgezogen werden.

Wahlen trotz Coronakrise möglich
Dass man in der Coronakrise keinen Wahlkampf durchführen sollte, stimmt so nicht. In Wien war genau das im Herbst des Vorjahres der Fall. Ohne dass die Stadt unregierbar wurde oder im Chaos versank. Trotz höherer Infektionszahlen als momentan in Innsbruck. Man hat gelernt, Wahlen mit Sicherheitskonzepten durchzuführen. Die seit 2007 zusätzlich mögliche Briefwahl macht das noch leichter. Das Coronavirus verlangt viele Einschränkungen, demokratische Wahlen zählen nicht dazu.

Die Alternative ist ein Bürgermeister mit wechselnder (Nicht-)Mehrheit im Gemeinderat. Klar, das macht die Planung politischer Vorhaben schwieriger. Aber na und? Vor allem in Kärnten gab es sogar Fälle, wo einem in der Direktwahl siegreichen Bürgermeister im Gemeinderat absolute Mehrheiten einer Gegenpartei gegen ihn drohten. Personenwahlen für das Bürgermeisteramt und eine Verhältniswahl mit Parteilisten für den Gemeinderat führen nun einmal zu solchen Situationen.

Eine Unart ist nur die Überraschung, wenn verfassungsgemäß das freie Mandat statt dem Klubzwang gilt. Im Innsbrucker Gemeinderat hatte jeder Abgeordnete nach dem Gewissen zu entscheiden, ob man Markus Lassenberger oder Elisabeth Mayr – die Kandidatin der SPÖ – als Vizebürgermeister will. Aufregung gibt es bloß, weil wir gewohnt sind, dass Parteimenschen sich einer Fraktionsdisziplin als „Klubzwang“ unterwerfen.

Sittengemälde politischer Intrigenspiele
Es geht nicht, einerseits die oft sklavische Treue von Politikern zur Linie der eigenen Partei zu kritisieren, und sich andererseits bei Abweichungen vom Klubzwang aufzuregen. Das Problem ist eher ein Sittengemälde politischer Intrigenspiele. Die Mehrheit für Lassenberger kam ja in geheimer Abstimmung zustande. Nun behaupten mehr Gemeinderäte, sie wären für Mayr gewesen, als diese Stimmen bekam. Da sich bei so einer Sache niemand ungewollt irren kann, muss irgendwer bewusst lügen.

Das führt zu einem Dilemma der Stadtpolitik. Jeder kennt nicht nur jeden, sondern es gibt jahrzehntelange Geschichten, wie man miteinander verknüpft ist. Oft mit emotionalen Trennungen und einem vorübergehenden sich wieder Liebhaben. Ein Beispiel: Bei der Abwahl von Vizebürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer 2019 handelte es sich um eine Politikerin der Liste FÜR INNSBRUCK, die früher in der ÖVP war. Den Abwahlantrag stellte Rudolf Federspiel, der von der FPÖ abwechselnd ausgeschlossen und aufgenommen wurde.

Vizebürgermeister ohne Ressort
Eine der Wahlordnung entsprechende Besonderheit ist zudem, dass Markus Lassenberger nun 1. Vizebürgermeister ist, allerdings – wie sein Parteikollege Federspiel als Stadtrat – ohne Ressort. Das bedeutet, er hat als nicht amtsführend keinen Verantwortungsbereich, wo er etwas zu tun oder gar zu entscheiden hätte. Zuständig ist er mit seinem Vizetitel gewissermaßen nur für Schreibtisch, Türschild und Visitenkarten im Büro.

System heute noch zeitgemäß?
Warum nur, warum? Gemeinderatsparteien haben je nach Größe Anspruch auf Sitze im Stadtsenat. Was nicht garantiert, dass ihnen Aufgaben übertragen werden. Solche Proporzsysteme sind entstanden, weil man alle Parteien irgendwie in die Regierung einbinden wollte. Nachdem in Österreich 1934 die politischen Lager aufeinander geschossen haben und es später eine Diktatur gab. Man könnte den Fall Lassenberger zum Anlass für die Frage nehmen, ob das heute noch zeitgemäß ist.

Was passierte, kann als vergossene Milch aber nicht rückgängig gemacht werden. Innsbruck wird es aushalten. Nur eines darf nicht Schule machen: Wer immer Lassenberger auch gewählt hat, um dem Bürgermeister oder der eigenen Partei eins auszuwischen: Das ist sein gutes Recht, nur in einem Parlament braucht es Positivmehrheiten für politische Inhalte. Nicht nur Negativmehrheiten gegen alles und jeden.

Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz.

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