LR Baur im Interview

Flüchtlingswelle: “Keiner muss auf was verzichten”

Tirol
24.08.2015 10:09
Soziallandesrätin Christine Baur (Grüne) nimmt im "Krone"-Interview zur nicht enden wollenden Flüchtlingsproblematik Stellung.

"Krone": Frau Landesrätin Baur, wie ist Ihre aktuelle Einschätzung rund um die andauernde Flüchtlingsproblematik in Tirol?
LR Baur: Die Problematik ist kein Tiroler, sondern ein europäisches und weltweites Phänomen. Was hierzulande dazu kommt ist, dass wir ein Durchzugsland sind, so wie etwa beim Thema Transit. Zu glauben, dass sich im nächsten Jahr etwas ändern wird, wäre sehr, sehr kurzsichtig – genauso, wie die Problematik ja nicht plötzlich auf uns hereingebrochen ist. Die Fluchtbewegungen sind schon vor Jahren angekündigt worden. Man hat gewusst, dass es passieren wird. Es wird nicht enden.

"Krone": Derzeit sind in Tirol rund 4000 Asylwerber untergebracht, die Zahl der Flüchtlingsheime, die das Land Tirol betreibt, ist zuletzt von 20 auf 90 gestiegen. Wie viele zusätzliche Unterkunftsplätze wird es bis Ende des Jahres brauchen?
LR Baur: Es braucht täglich mehr Plätze. Wir rechnen aktuell damit, dass wir bis Ende des Jahres rund 1000 zusätzliche Unterkunftsplätze benötigen werden. Viele sind bereits in Vorbereitung – immerhin geht es ja nicht von heute auf morgen.

"Alles ist besser, als im Freien zu schlafen!"

"Krone": Zuletzt wurden etwa die alte Tennishalle am Innsbrucker Paschbergweg oder die Vomper Frundsberg-Kaserne in Asylquartiere umfunktioniert. Was ist Ihre Meinung über die Art der Unterkünfte?
LR Baur: Mein Wunsch ist, dass die Qualität in Tirol so ist, dass die Menschen ein festes Dach über dem Kopf haben. Die Tennishalle ist mit Sicherheit die bessere Lösung als ein Zelt. Die Menschen haben dort zumindest abgeteilte Bereiche. Das Ziel wird sein, dass es Selbstversorgerstrukturen gibt. Solche sind aber in diesen Notunterkünften nicht möglich. Man kann ja nicht noch einen Container hinstellen, in dem sie selber kochen können. Derzeit sind alle recht zufrieden. Es ist immer besser, als im Freien zu schlafen. Ich geniere mich für das nicht, ich bin froh, dass wir das so bewältigen können.

"Krone": 2014 betrugen die Kosten für die Grundversorgung von Flüchtlingen in Tirol rund 16 Millionen Euro. Können Sie abschätzen, wie viele Millionen es heuer sein werden?
LR Baur: Die Grundversorgung ist Bundessache, es gibt da einen klaren Kostenaufteilungsschlüssel. 60 Prozent der Kosten werden während des ersten Jahres der Unterbringung vom Bund refundiert. Wenn ein Asylverfahren länger als ein Jahr dauert sogar 100 Prozent. Eine Einschätzung für das heurige Jahr kann ich keine geben. Aber: Je mehr Flüchtlinge, desto mehr steigen die Kosten. Das ist ganz logisch.

"Könnten Flüchtlinge 100 Jahre lang versorgen"

"Krone": Nach dem "Krone"-Bericht "Flüchtlinge kosten Tiroler Zigmillionen Euro" vor rund eineinhalb Wochen gab es neben vielen lobenden Worten auch kritische Stimmen. Teilweise konnte man schon beinahe den Eindruck gewinnen, dass das Aufzeigen der Kosten unerwünscht ist. Wie sehen Sie das?
LR Baur: Ich bin für volle Transparenz. Die Möglichkeit, Sozialausgaben tätigen zu können, sollte die Gesellschaft stolz machen und nicht Neid schüren. Die wirklich großen Summen, die wir ausgeben, Stichwort Banken, sind ganz andere Beträge. Alleine mit dem, was die Hypo Alpe Adria verschlingt, könnte man die nächsten Hundert Jahre Flüchtlinge versorgen.

"Krone": Immer wieder werden aus der Bevölkerung Stimmen laut, man solle doch das viele Geld "in unsere Leut" investieren. Was entgegnen Sie solchen Meinungen?
LR Baur: Es darf hier keinesfalls eine Neiddebatte angezettelt werden. Die Mindestsicherung ist in Österreich immer noch doppelt so hoch als die Grundversorgung. Mit dem Begriff "unsere Leut" kann ich sowieso nichts anfangen. Wo fängt das an und wo hört’s auf? Mein Auftrag als Soziallandesrätin ist es, für Frieden zu sorgen und demokratisch legitimierte Gesetze zu vollziehen. Niemand muss auf etwas verzichten, nur weil Flüchtlinge zu uns nach Tirol kommen. Es muss keiner um seine soziale Absicherung fürchten.

Durchgriffsrecht wohl nur in Ausnahmefällen

"Krone": SPÖ, ÖVP und Grüne haben sich auf Bundesebene auf ein Durchgriffsrecht bei Unterbringung von Asylwerbern geeinigt. Künftig können also Quartiere auch gegen den Willen von Ländern und Gemeinden errichtet werden. Ihre Einschätzung?
LR Baur: Alles, was dazu führt, dass Bund und Länder an einem Strang ziehen, um Unterkünfte zu schaffen und Asylsuchenden Schutz zu bieten, ist positiv. Auch, dass Traiskirchen entlastet wird, ist sehr, sehr wichtig. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass das Durchgriffsrecht in Tirol zur Anwendung kommt, wenn dann nur in Ausnahmefällen. Es ist ja jetzt schon so, dass sich etwa Gemeinden zusammentun, Grund oder Gemeindewohnungen anbieten. Es gibt fast keine Gemeinde, die keine Flüchtlinge will. Nur die Anzahl war bisher das Thema. Da wird sich künftig noch etwas ändern müssen.

"Krone": Causa "Brunecker Straße" in Innsbruck. Dort hat das Land ja im Februar ein Objekt angemietet, das künftig als Asylheim fungieren soll. Kosten: 16.000 Euro pro Monat. Bisher ist es noch nicht besiedelt. Woran hapert es derzeit noch?
LR Baur: Wir leben in einem Rechtsstaat, und wenn man ein Bauvorhaben anzeigt, gibt es eben auch Nachbarrechte. Die wurden in diesem Fall wahrgenommen. Man muss diese natürlich anhören, darum dauert es halt länger, bis das Bauverfahren abgeschlossen ist. Der Nachteil für uns ist, dass wir das Objekt nicht besiedeln können. Mit Glück ist es im Herbst soweit. Dann werden dort zwischen 80 und 100 Menschen untergebracht.

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