„Krone“-Interview

Leben in Angst: „Ich sehe trotzdem viel Schönes“

Tirol
20.02.2023 12:11

Wann wird Angst zur Krankheit? David Schlechtleitner aus dem Tiroler Unterland weiß es. Er wolle aufklären und Betroffenen Mut machen, sich rechtzeitig Hilfe zu suchen - so begründet er seine Bereitschaft für ein Interview über seine Angststörung. Für Schlechtleitner ist dieser Schritt nicht einfach, denn seine Geschichte ist schwere Kost.

„Krone“: Herr Schlechtleitner, Sie leiden an einer generalisierten Angststörung und an Depressionen. Wovor haben Sie so große Angst und wie bestimmt diese Ihren Alltag?
David Schlechtleitner: Kurz gesagt: Seit meiner Jugend habe ich panische Angst zu sterben. Nicht so, wie es jeder Mensch in bestimmten Momenten hat. Bei mir ist die Angst eine Konstante im Leben. Immer wieder bin ich davon überzeugt, einen Tumor zu haben und qualvoll daran zugrunde gehen zu müssen. Früher äußerte sich das zum Beispiel in Panikattacken mitten in der Nacht. Dann musste ich den Notarzt alarmieren, weil ich tatsächlich körperlich zusammengebrochen bin. Entdecke ich ein gerötetes Muttermal, kann im Kopf jederzeit die Angstlawine losgehen. Ich kann dann an nichts anderes denken. Die Panik lähmt mich, lässt keine rationalen Gedanken mehr zu. Der Kopf schaltet aus. Da ist nur noch das Gefühl der Todesangst.

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Ohne professionelle Hilfe würde ich heute wohl nicht mehr leben.

David Schlechtleitner

Sie sind seit vielen Jahren in Therapie. Werden Sie dennoch immer wieder von Angstattacken gebeutelt?
Mein Psychiater hat mir früh dargelegt, dass ich diese von außen betrachtet irrationale Angst wohl nie loswerden kann. Und so ist es. Diese Erkenntnis war für mich zuerst ein Schock. Aber ich habe dann Schritt für Schritt gelernt, besser damit umzugehen. Ohne professionelle Hilfe würde ich heute aber wohl nicht mehr leben.

Konnten Sie die Ursachen Ihrer Angststörung jemals entschlüsseln?
Meine Kindheit war geprägt von vielen negativen Erfahrungen. Geborgen habe ich mich nie gefühlt. In der Therapie ist mir erst bewusst geworden, welche weitreichenden Folgen das für mein Leben hatte. Ich habe mein inneres Kind verloren. Mit 15 hat mich diese unbegreifliche Todesangst erstmals so richtig gepackt.

Bis zur Diagnose sind dann aber noch 15 Jahre vergangen. Der Leidensdruck muss enorm gewesen sein.
Das klingt jetzt vielleicht merkwürdig: Eigentlich lange gar nicht, weil ich mich in eine Alkohol- und Spielsucht geflüchtet habe. Das Trinken hat mir den Alltag erleichtert, das Spielen hat mir das Gefühl gegeben, etwas wert zu sein und auch einmal zu den Gewinnern zu gehören. Ich konnte mir einreden, alles im Griff zu haben. Dann kam ein körperlicher Zusammenbruch und mein erster Aufenthalt in der Psychiatrie. Erst später habe ich mithilfe meines Psychiaters verstehen gelernt, dass die Süchte nur Fluchtversuche waren.

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Mein Glaube und meine engste Familie - allen voran meine Tochter und meine jetzige Frau - waren und sind meine Felsen in der Brandung.

David Schlechtleitner

Sucht verdeckt andere psychische Erkrankungen. Wie schwierig war es für Sie, vom Trinken und Spielen loszukommen? Ihnen war ja klar, dass Sie die Angst dann nicht mehr verdrängen können?
Wie gesagt: Ohne professionelle Hilfe hätte ich es nicht geschafft. Aber das alleine ist es nicht. Mein Glaube und meine engste Familie – allen voran meine Tochter und meine jetzige Frau – waren und sind meine Felsen in der Brandung. Menschen, die mich nehmen, wie ich bin, und die mich lieben. Mir ist klar, dass es für sie nicht einfach ist. Umso dankbarer bin ich. Psychische Erkrankungen sind in unserer Gesellschaft leider immer noch ein großes Tabuthema. Das belastet nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihre Angehörigen. Ich möchte allen Mut machen, sich nicht zu verstecken, Hilfe zu suchen und gegen die Angst anzukämpfen. Das Leben ist es wert.

Tiroler Gesundheitsgespräche

  • Am Donnerstag, 23. Februar, gehen in Innsbruck die „Tiroler Gesundheitsgespräche“ in die nächste Runde. Die Veranstaltungsreihe der Tirol Kliniken, dem Leitbetrieb der Gesundheitsversorgung in der Europaregion Tirol, Südtirol, Trentino, in Partnerschaft mit der „Tiroler Krone“ und dem ORF Tirol, widmet sich diesmal der Frage: Wann wird Angst zur Krankheit und wie kann man damit richtig umgehen?
  • Am Podium sitzen Professorin Barbara Sperner-Unterweger, Direktorin der Uni-Klinik für Psychiatrie II, Mátyás Gálffy, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, Carina S. Bichler, Klinische Psychologin und Sportwissenschafterin, sowie als Betroffener David Schlechtleitner.
  • Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr im Studio 3 des ORF am Rennweg in Innsbruck.
  • Um Anmeldung beim ORF wird gebeten: studio3.tirol@orf.at oder telefonisch unter 0512/5343-26220.

Das Leben ist es wert. Klingt nach einem schönen Schlusssatz. Noch kurz: Wie sehen Sie heute die Welt?
Am Beginn meiner Therapie hat mich mein Psychiater nach den schönen Momenten in meinem Leben gefragt. Mir ist einfach nichts eingefallen. Heute kann ich viele schöne Momente aufzählen, weil ich sie wieder sehe. Früher konnte ich Stunden über Negatives reden, heute fällt mir viel Positives ein. Meine Ängste werden wohl bleiben, aber ich sehe darüber hinaus und genieße das Leben.

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