„Pinocchio“

Das irre Doppelleben des Grazer Serien-Bankräubers

Steiermark
29.05.2022 11:00

Heute vor 22 Jahren wurde Alexander Jost in Linz von Polizisten erschossen, die ihn als Serien-Bankräuber „Pinocchio“ enttarnt hatten. Wer war der Mann - und warum hatte er zwei Gesichter?

Polizeisirenen, Blaulicht, Schüsse: Am 29. Mai 2000 kommt es in Linz zum großen Showdown zwischen einem Bankräuber und der Polizei. Gegen 16 Uhr hatte der bis dato Unbekannte, maskiert mit einem Tuch, eine Raiffeisenkassa gestürmt und der Kassierin eine Waffe an die Schläfe gedrückt. Er hatte sich das Geld geschnappt, war aus der Bankfiliale gesprintet und mit einem gestohlenen Moped geflohen. Von alarmierten Beamten verfolgt, war der Mann auf der Straße zu Sturz gekommen und zu Fuß in eine Hausdurchfahrt gehetzt.

Dort fallen dann gegen 16.15 Uhr zahlreiche Schüsse: Zwei uniformierte Beamte der Linzer Polizei stellen den Gangster und fordern ihn auf, sich zu ergeben. Doch der zückt eine täuschend echt aussehende Feuerzeugpistole und zielt auf seine Verfolger. Die Polizisten drücken 15-mal ab, der Täter stirbt wenig später im Spital an seinen schweren Verletzungen.

Selbstmord durch die Polizei
Ermittler vermuten, dass er die tödlichen Schüsse provoziert hatte - Stichwort Suicide by Cop, also Selbstmord durch die Polizei. Ein Verfahren gegen die Polizisten wird später eingestellt. Doch wer ist der gut aussehende Mann, der nach seiner Enttarnung nicht mehr weiterleben will?

Spurensicherer finden in unmittelbarer Nähe des Tatorts sein Auto, und auf seinem Finger steckt ein Ehering, in den der Name seiner Frau, einer hochrangigen Politikerin, eingraviert ist.

Alexander Jost ist der berüchtigte „Pinocchio“
Damit ist die Identität geklärt: Beim Erschossenen handelt es sich um Alexander Jost, einen 38-jährigen Geschäftsmann aus Graz. Und, so dämmert es den Kriminalisten rasch, er dürfte auch jenes Phantom sein, das in den vergangenen Jahren Banken in ganz Österreich überfallen, mehr als drei Millionen Schilling erbeutet und eine Hundertschaft an Polizisten genarrt hatte: der berühmt-berüchtigte „Pinocchio“!

„Pinocchio“ hatte zwischen 1996 und 2000 acht Geldinstitute, davon sechs in der Murmetropole, nach immer demselben Muster ausgeraubt: Mit Faschingsmasken maskiert, war er in die Filialen gestürmt, hatte hohe Summen gefordert und war, ohne Spuren zu hinterlassen, getürmt. Als Fluchtfahrzeuge dienten ihm Motorräder, die er zuvor gestohlen hatte. Zeugen schildern ihn als sportlichen Typen mit einer großen Nase: „So eine wie Pinocchio!“ Wie passend - denn er ist der Polizei immer um eine Nasenlänge voraus. 

Seine Frau ahnte nichts von seinen Taten
Alexander Jost führt ein perfektes Doppelleben. Auf der einen Seite mimt er den treuen Ehemann, auf der anderen Seite ist er ein kaltblütiger Verbrecher, der Banken ausraubt, Kunden und Angestellte bedroht.

Als seine Frau, die im fünften Monat schwanger ist, von den Taten ihres Gatten erfährt, bricht für sie eine Welt zusammen. Sie hat nicht den Funken einer Ahnung, dass ihr geliebter „Alex“ zwei Gesichter hat.

Ihn umgibt eine Aura des Unnahbaren, er hält Menschen gerne auf Distanz. Auf den wenigen Bildern, die es von dem 38-Jährigen gibt, lacht er verschmitzt. Die Zähne blitzblank, das Sakko gut sitzend. In seiner Heimatstadt nennt man ihn den „schönen Sascha“, bei dem, zumindest nach außen hin, alles zu stimmen scheint: Er hat eine schöne Frau aus gutem Haus mit gutem Job, ein Kind ist unterwegs, er genießt ein Leben im Luxus.

Zitat Icon

Er hat das Geheimnis mit ins Grab genommen.

Leitende Ermittler im Fall "Pinocchio"

Malediven-Urlaub und teure Motorräder
Alexander Jost fährt einen Mercedes und Motorräder, fliegt gerne in den Urlaub auf die Malediven. Im Brotberuf ist er Einzelunternehmer bei einer Marketing- und Consultingfirma, aber offenbar nur wenig erfolgreich. Die Polizei, die das mysteriöse Unternehmen „Pinocchios“ durchleuchtet, stößt auf ein Kartenhaus, das jederzeit zusammenbrechen hätte können. Die geringen Einkünfte aus der Firma reichen für ein süßes Inselleben nicht aus.

Woher hat er also das Geld für die Reisen in den Indischen Ozean? Vermutlich stammt es aus den Überfällen: Die Beute, in heutiger Währung weit mehr als eine halbe Million Euro, soll ihm sein Dasein als schillernder Lebemann finanzieren. Warum der „schöne Sascha“ zum dreisten „Pinocchio“ wird, lässt sich nicht mehr klären. „Er hat das Geheimnis mit ins Grab genommen“, betonen die ermittelnden Beamten.

Die Frage nach dem Warum wird nie beantwortet
Denen schon damals klar ist: Für Jost bricht in dem Moment das Selbstbild des erfolgreichen Unternehmers und liebenden Ehemannes zusammen, als er von den Polizisten in die Enge getrieben wird. Indem er den „Suizid durch die Polizei“ wählt, entzieht er sich der Schande des überführten Verbrechers. Und der Frage nach dem Warum, die ihm seine Frau und sein Kind irgendwann gestellt hätten.

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