Schauspielhaus Graz

Gatsby als Jedermann der Selbstinszenierung

Steiermark
15.01.2022 17:00

Der amerikanische Traum als große Blendung. Mit „Der große Gatsby“ hat F. Scott Fitzgerald einen der größten Romane des 20. Jahrhunderts geschrieben. Nun ist der Stoff in einer Inszenierung von Claudia Bossard am Grazer Schauspielhaus zu sehen: „Making a Great Gatsby“ verliert sich zwischen Werktreue und Dekonstruktion.

Was zu Fitzgeralds Zeiten noch den USA vorbehalten war, ist längst zu einem globalen Phänomen geworden: der Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden. Erreichen kann man dieses Ziel nicht nur mit harter Arbeit, sondern auch mit illegalen Geschäften und Blendertum - dafür ist Fitzgeralds Gatsby der literarische Prototyp. Heute freilich haben solche Typen Hochkonjunktur und sind in Politik und Wirtschaft genauso zu finden wie in der Celebrity-Kultur. Und dank Social Media ist all das zu einem Phänomen für die Massen geworden und Gatsby zu einer Art Jedermann der Selbstinszenierung.

Verblendung von Gestern und Heute
All diese Gegenwartsbezüge deutet Claudia Bossard in ihrer Inszenierung unter dem Titel „Making a Great Gatsby“ auch an: Ihr Gatsby hat sein Geld nicht nur mit Öl-Geschäften, sondern auch mit Krypto-Währung gemacht. Inmitten der „roaring twenties“ sind einige Figuren in eine billige Reality-TV-Show verwickelt. Die Musik, die von der fabelhaften Live-Band erklingt, ist großteils Charts-Stoff der letzten Jahre. Und auch Kamala Harris hat einen Gastauftritt - jene liberale Blendung der Anti-Trump-Bewegung also, deren Lack mittlerweile auch schon ab ist.

Doch der amerikanische Traum ist bei Bossard ohnehin schon von Anfang an zu einem klapprigen Gerüst (Bühne: Frank Holldack und Elisabeth Weiß) verkommen, auf dem sich die Figuren ihren oberflächlichen Bedürfnissen hingeben und nur selten „echte“ Emotionen erkennen lassen: Jay Gatsby (Andri Schenardi) stolpert dem Geist der nie ganz verflossenen Liebe zu Daisy (Lise Birke Balzer) nach. Die entdeckt ihre halbherzige Zuneigung zu ihrem Mann Tom (Nico Link) erst, als dessen Affäre mit Myrtle (Katrija Lehmann) nicht mehr zu verleugnen ist. Deren Mann George wiederum rackert sich für eine gemeinsame Zukunft ab, die es längst nicht mehr gibt. Und Nick (Frieder Langenberger), der im Roman als nicht ganz unbeteiligter Erzähler fungiert, wird auch hier in die seelischen Untiefen seiner Mitmenschen gezogen.

Verloren zwischen Werktreue und Dekonstruktion
Das Ensemble bietet hervorragende Leistungen, und die Inszenierung ist auch unterhaltsam - vorausgesetzt man kann den Anspielungen folgen. Sehr humorvoll lässt Bossard die Darsteller auch ihre „Blendung“ des Publikums in einer musikalischen Einlage voll großer Gesten thematisieren.

Letztendlich jedoch wirkt „Making a Great Gatsby“ verloren zwischen Werktreue und Dekonstruktion. Statt etwa nach einer raveartigen Explosion des Geschehens endgültig in die Gegenwart zu kippen, liefert Bossard am Ende Erzähltheater in der biedersten Form und jagt damit auch selbst ein Gespenst der Vergangenheit, das längst schon neue Formen angenommen hat.

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