
Stress, Druck, zu viel Bürokratie: Immer mehr diplomierte Pflegekräfte in der Steiermark werfen das Handtuch. Dazu kommt eine Pensionswelle, die sich immer höher auftürmt. Über 300 Stellen sind aktuell unbesetzt. „Ich habe mich gefühlt wie ein Gefängniswärter“, erzählt eine ehemalige Altenpflegerin aus dem Murtal.
Eigentlich habe sie ihren Job geliebt, sagt Brigitte K. „Ich mag es, die Leute zu umsorgen. Sie waren wie meine eigenen Großeltern.“ Eigentlich. Dann kam Corona. Nach sechzehn Jahren unterschrieb die 44-jährige diplomierte Pflegerin nun ihre Kündigung. Zu hoch war die Belastung. „Man hält bewusst Familien getrennt. Man sieht dabei zu, wie Bewohner verfallen“, schildert sie. „Die Angehörigen verpassen wichtige Momente. Das stimmt einen sehr traurig.“
Dazu kommt der enorme Zeitdruck. „Die administrativen Tätigkeiten sind ein Hammer geworden. Man arbeitet nur noch Listen ab. Es bleibt keine Zeit zum Durchatmen, geschweige denn, um sich mit Patienten in Ruhe zu unterhalten.“
Über 300 offene Stellen
Brigitte K. ist nicht allein. Das zeigen auch Zahlen des AMS: Gab es vor Corona noch 119 offene Stellen für diplomiertes Pflegepersonal, waren es Ende Oktober 2021 über 300. „Je länger die Pandemie dauert, desto mehr kündigen“, sagt Beatrix Eiletz, Gewerkschafts-Landesvorsitzende der Gesundheits- und Sozialberufe. „Die psychische Belastung ist enorm.“
In Krankenhäusern fehlen hunderte Kräfte
Neben Pflegeheimen sind auch Krankenhäuser betroffen. 67 offene Stellen für DGKP weist die Homepage der Krankenanstaltengesellschaft Kages aktuell aus. Noch düsterer ist die Prognose des Betriebsratsvorsitzenden Michael Tripolt. „500 bis 600 Diplomierte fehlen uns im kommenden Jahr, aber nur etwa 180 schließen die Ausbildung ab.“ Dazu kommen noch Ärzte, Pflegeassistenten und andere Berufe.
Etwa zehn Prozent mehr Personalfluktuation als im Vorjahr habe es in den Kages-Häusern pandemiebedingt gegeben. Tripolt sieht den Grund für den nahenden Pflegenotstand aber vor allem in der Ausbildung: Es sei „schwachsinnig“ gewesen, sie an die Fachhochschulen zu verlegen. „Nur weil wir ein BWL-Studium einführen, schaffen wir ja auch nicht die Handelsakademien ab“, vergleicht er.
„Babyboomer gehen in Pension“
Anderer Meinung ist da Waltraud Haas-Wippel. Die kürzlich pensionierte Pflegedienstleiterin der Grazer GGZ ist Teil des Landesvorstands im Gesundheits- und Krankenpflegeverband. „Wir brauchen mehr Ausbildungsplätze an der FH. Es gibt 400 Bewerber, aber nur 216 Plätze.“ Zwar hat das Land bereits aufgestockt, aber das sei nicht genug. „Die Babyboomer-Generation geht in Pension. Ohne Maßnahmen wird der Personalmangel nur noch schlimmer werden.“
Je länger die Pandemie dauert, desto mehr Pflegekräfte kündigen. Viele sind im Krankenstand oder in Quarantäne, viele gehen so schnell wie möglich in Pension. Die psychische Belastung ist enorm.
Gewerkschafterin Beatrix Eiletz
Brigitte K. erinnert sich zurück an den Moment, als sie abgeschlossen hat mit fast zwei Jahrzehnten in der Altenpflege. „Der Pfarrer durfte nicht mehr ins Heim. Aber die Messen waren der letzte Anker für viele Bewohner.“ Der Abschied war schwer, erzählt sie. „Aber schließlich ist mir eine große Last von den Schultern gefallen.“
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