Premiere in Graz

“Manon” am Flughafen

Steiermark
26.04.2015 18:21
Nach Henzes "Boulevard Solitude" und Puccinis "Manon Lescaut", die in den vergangenen Jahren hier zu sehen waren, gibt es in Graz mit Jules Massenets "Manon" nun die dritte große Veroperung des Stoffs um das Luxusgeschöpf Manon zu sehen. In einer Inszenierung, die alle fünf Akte auf einen Flughafen verlegt und die durch drei Protagonisten Kraft und Frische erhält.

Flughäfen, diese unförmigen, vom Konsum infiltrierten Nicht-Orte, diese Durchgangsstationen, deren auf Hochglanz polierte Schrecklichkeit man so schnell wie möglich wieder verlassen möchte. Wie ließe sich die Unbehaustheit, die Ziellosigkeit einer Figur wie der Manon besser illustrieren als durch einen Flughafen als Schauplatz der nach ihr benannten Oper? Der Kniff, den Regisseur Elmar Goerden für Massenets Tragödie vom leichtsinnigen Mädchen Manon angewendet hat, ist brillant. Goerden gelingt es dennoch nicht, aus der guten Idee eine gute Inszenierung zu machen. Nicht nur, weil sich das Libretto bisweilen arg gegen die Verlegung spreizt, sondern weil deren kreatives Potenzial bald erschöpft ist. Die Tücke steckt im Detail: zu viel Unschlüssiges und Halbfertiges streckt den Abend in die Länge.

Wie man fast zweidreiviertel Stunden bis zum Ende die Spannung hält, könnte Goerden von Dirk Kaftan am Pult der Grazer Philharmoniker lernen. Der setzt auf Brio statt auf französische Eleganz, bringt mit Impulsivität die Musik zum Leuchten und vergisst bei aller dramatischer Vehemenz nicht auf die Differenzierungen, auf die Kontraste, die das Ganze erst wirklich farbig machen. Dass zwei jugendliche, frische Stimmen das Liebespaar Manon-Des Grieux singen, harmoniert wunderbar mit Kaftans Lesart. Iulia Maria Dan liefert als auf dem Flughafen gestrandete Backpackerin eine starke Performance. Auch wenn ihr das stimmliche Raffinement, mit der man die Facetten der kapriziösen Titelfigur zum Vorschein bringt, noch fehlen mag. Mit sehr klarer, mit exzellenter Höhe ausgestatteter Stimme macht Dan aus der Manon eine bewegende Fallstudie im Doppelsinn. Bis sich die Heldin durch Selbstmord barbarischen Abschiebe-Praktiken entzieht, darf man mitleiden. Und mit Abdellah Lasri, der den Des Grieux mit eher hellem, lyrischem, zur dramatischen Expansion souverän fähigem Tenor singt. Sein Edelmann ist vokal kein zarter Franzose, sondern ein etwas gehemmter Latin Lover. Dass ein Rodolfo und ein Alfredo Germont derzeit zu Lasris Paraderollen gehören, das glaubt man gern.

Wilfried Zelinka legt die Vaterrolle mit schlanker Linie statt vokaler Wucht an. Manuel von Senden fügt als Guillot seiner imposanten Reihe an Charakterporträts ein weiteres hinzu, während Ivan Oreèanin den Lescaut wenig Gewicht gibt und David McShanes Brétigny eher rollendeckend als spannend klingt – sie alle sind Protagonisten einer Männerwelt, in der Frauen nur als Kokotten (hier Stewardessen: Anna Brull, Xiaoyi Xu, Sieglinde Feldhofer) oder als Opfer Platz haben. Da hilft selbst Religion nicht mehr weiter: Der Sakralraum des dritten Akts ist zu einer Reihe von gläsernen Raucherkobeln degradiert. Zwischen dem Talmi-Glanz der durchkapitalisierten Weltgesellschaft bleibt wenig Platz für Liebe, Hoffnung, Glaube.

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