Journalistin bangt:

„Ich wünsche mir, dass meine Familie überlebt“

Tirol
08.03.2022 10:00

Sofiya Darsaniya (37) ist Journalistin und lebt seit sieben Jahren in Tirol. Ihre Familie flüchtete in den 1990ern aus Georgien in die ukrainische Stadt Mariupol, wo sie sich ein neues Leben aufbauten. Nun bangen sie um dieses.

„Krone“: Wo lebt Ihre Familie und wann haben Sie das letzte Mal etwas von ihr gehört?
Sofiya Darsaniya:
 Meine Eltern, Geschwister, Verwandte mit ihren Kindern sind alle in unserem Haus im Zentrum von Mariupol, insgesamt sind sie zu elft. Unter der Küche ist ein Keller, den nutzen sie derzeit als Bunker. Vergangenen Mittwoch um 9 Uhr habe ich das letzte Mal etwas von ihnen gehört. Seitdem nichts mehr. Ich mache mir extrem große Sorgen.

Was haben sie Ihnen denn als Letztes erzählt?
Sie hören die Bomben. Die Frauen und Kinder verstecken sich im Keller, mein Vater und Schwager sind oben und passen auf. Meine Familie weiß, dass ich emotional bin und sie haben mir gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen soll. Sie wollten mich beruhigen. Sie hatten auch die Hoffnung, dass das alles bald endet.

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Meine Eltern haben durch sehr harte Arbeit für uns ein neues Leben aufgebaut. Sie sind jetzt 67 Jahre alt. Sie wollen nicht noch einmal ihr ganzes Leben zurücklassen.

Sofiya Darsaniya

Konnten sie nicht flüchten?
Meine Familie ist vor Putin in den 1990ern aus Georgien in die Ukraine geflüchtet. Damals war ich ungefähr acht. Ich erinnere mich noch genau, wie wir zum Flughafen fuhren. Wir hatten so viel und mussten alles zurücklassen, keinen Teller haben wir mitgenommen. Wir bekamen keinen Platz im ersten Flugzeug, erst im zweiten. Später habe ich erfahren, dass das erste Flugzeug abgeschossen wurde. Die Ukraine hat uns aufgenommen, dafür sind wir diesem Land unendlich dankbar. Meine Eltern haben durch sehr harte Arbeit für uns ein neues Leben aufgebaut. Sie sind jetzt 67 Jahre alt. Sie wollen nicht noch einmal ihr ganzes Leben zurücklassen.

Also sind sie geblieben?
Sie dachten auch, dass es nicht so schlimm kommt. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen fliehen, das Leben ist doch wichtiger, ist doch egal, wenn wir noch einmal alles verlieren. Aber es gibt jetzt auch keinen Korridor für Zivilisten, um die Stadt zu verlassen. Mein Vater möchte auch kämpfen, weil er der Ukraine so dankbar ist. Er ist 67 Jahre alt, er hat Herzprobleme, er hat Diabetes. Ich weiß, mein Vater schafft es nie zu kämpfen, er ist einfach zu alt, ich weiß nicht einmal, ob er es schafft, eine Waffe zu halten, obwohl er aus Überzeugung die Straße beschützen würde.

Aber die Männer in meiner Familie sind leider so, sie verstecken sich nicht. Sie haben keine militärische Ausbildung und wollen gegen russische Soldaten kämpfen. Ich wünsche mir einfach nur, dass sie überleben. Putins Russland zerstört zum zweiten Mal unser Leben. Wir sind im 21. Jahrhundert, Waffengewalt sollte es nicht mehr geben. Diplomatie ist der einzige Weg.

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Obwohl Russland mich und meine Familie das ganze Leben lang vertrieben hat, hasse ich diese Nation nicht. Es gibt Tausende Russen, die gegen den Krieg demonstrieren.

Sofiya Darsaniya

Wie sehen Sie Russland?
Obwohl Russland mich und meine Familie das ganze Leben lang vertrieben hat, hasse ich diese Nation nicht. Es gibt Tausende Russen, die gegen den Krieg demonstrieren. Aber Putin kontrolliert die russischen Medien. Russland ist mehr als Moskau und St. Petersburg, es ist ein armes Land, viele haben nur einen Fernseher, kein Internet. Und da läuft Propaganda, das ist der Grund, warum Putin Unterstützer hat. Es ist wie damals, als uns niemand geglaubt hat, dass Russland unser Gebiet in Georgien okkupiert hat, denn in der Ukraine sind die russischen Medien verbreitet.

Medien haben so eine wichtige Rolle. Als wir erzählt haben, dass uns die Russen vertrieben haben, hat uns damals keiner geglaubt. Menschen, mit denen ich zur Schule, Uni oder zur Arbeit gegangen bin, haben gesagt, dass die Russen nur zum Beschützen da sind - das Gleiche, was die russischen Medien jetzt behaupten. Ich bin mein ganzes Leben lang Migrantin. Das habe ich mir nicht ausgesucht. Aber seit 2014, seit Beginn des Krieges in der Ukraine, denkt man in der Ukraine anders.

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Ich denke, niemand kann eine Prognose machen, ob es morgen besser oder schlimmer wird, es ist Zeit zu fliehen, denn das Leben ist wichtiger.

Sofiya Darsaniya

Was wünschen Sie sich am meisten?
Ich weiß es nicht, die momentane Situation ist unglaublich schlimm. Ich hoffe, dass zumindest Frauen und Kinder die Stadt verlassen können, vielleicht kann das Rote Kreuz einen Korridor machen. Das ist mein einziger Wunsch momentan, weil weiter dazubleiben, das ist überhaupt nicht gescheit jetzt. Ich weiß nicht, ob sie noch leben oder nicht. Ich denke, niemand kann eine Prognose machen, ob es morgen besser oder schlimmer wird, es ist Zeit zu fliehen, denn das Leben ist wichtiger. Und sogar wenn wir ein zweites oder drittes Mal alles verlieren, das Leben ist wichtiger. Ich hoffe, dass sich meine Familie retten kann.

Gibt es etwas, das Ihnen derzeit hilft?
Meine Freunde sind eine große Unterstützung für mich und ich konnte mir nie vorstellen, dass mich so viele Menschen barmherzig lieben und unterstützen können. Zu 95 Prozent sind das Österreicherinnen und Österreicher und das ist der Beweis für mich, dass dieses Land unglaublich tolerant ist. Sie sehen mich als Einheimische und nicht als Migrantin.

Können Sie etwas tun?
Ich habe so viel Angst um meine Familie, mir fehlt die Kraft, etwas zu tun. Aber ich muss trotzdem stark sein, ich organisiere Spendenaktionen, zum Beispiel Medikamente, und versuche zu helfen. Aber viel kann ich nicht machen, außer Kerzen anzünden und zu Gott beten. Ich bete dafür, dass meine Familie überlebt, und dass die Ukraine ein eigenständiges Land mit dem Namen „Ukraine“ bleibt.

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