The Rape of Lucretia

Kammerspiel mit Tragik und einem Übermaß an Moral

Tirol
21.06.2021 19:00
Das Tiroler Landestheater wagt sich mit „The Rape of Lucretia“ von Benjamin Britten an eine Opernrarität, ein intimes Kammerspiel voller Abgründe. Die Aufführung bietet musikalisch hohes Niveau, Johannes Reitmeiers sehr aktuelle Deutung ist schlüssig. Schade ist nur, dass das Werk, dessen Libretto vom englischen Schriftsteller Ronald Duncan nach einem Theaterstück des Franzosen André Obey verfasst wurde, doch einige dramaturgische Schwächen aufweist.

Die Geschichte findet sich schon beim altrömischen Historiker Titus Livius und bei Ovid. Bei Duncan – und schon bei Obey – wird die Vergewaltigung der Römerin Lucretia durch den Etruskerkönig Tarquinius – christlich verbrämt und als moralisches Lehrstück inszeniert. So sehr sich Johannes Reitmeier bemüht, die Oper zu aktualisieren und Bezüge zur MeToo-Debatte herzustellen, so wenig kommt er auch an diesen Aspekten vorbei.

Geniale Momente, aber auch Längen
So dramatisch die Oper stellenweise ist, so sehr Britten ein Mann mit Sinn für theatralische Wirkungen ist, so wenig kann etwa der Schluss überzeugen, wenn nach dem tragischen Selbstmord der Protagonistin noch allzu lange moralisiert wird. Auch sonst gibt es Längen, aber auch viele geniale Momente. Dabei ist die Idee, zwei Erzähler einzuführen, an und für sich spannend: Teilweise nehmen sie die Rolle des Chores in einer griechischen Tragödie wahr, teilweise sind sie aber auch betroffen von der Wucht des Geschehens. Wenn sie dann zu dessen Reportern werden, ist das ein gelungener Regieeinfall.

Inszenierung mit ambivalente Stärken
Am stärksten sind Brittens „The Rape of Lucretia“ und Reitmeiers Inszenierung da, wo es um Ambivalenzen geht, um erotische Spannung zwischen dem Verführer und seinem Opfer, um vielschichtige Charakterzeichnungen. Chefdirigent Kerem Hasan liebt diese Musik, das ist dem Dirigat anzumerken; die zwölf Musiker des Symphonieorchesters bieten eine differenzierte, klangintensive Deutung von Brittens Partitur. Die Erzähler sind zwei großartige, in Innsbruck bestens bekannte Charakterdarsteller: Jennifer Maines und Dale Albright überzeugen voll und ganz. Da, wo bei Albright vielleicht der Stimmglanz ein wenig fehlt, wird dies durch brillantes Spiel mehr als kompensiert.

Eine starke Besetzung
Alec Avedissian war im Landestheater schon einmal der Don Giovanni, hier ist er wieder ein viriler Verführer Tarquinius mit Prachtstimme. Mit Johannes Maria Wimmer als Collatinus und Unnsteinn Árnason als Junius bildet er ein formidables Trio prachtvoller Männerstimmen und alle drei gehen in ihren Rollen auf. Aber schön wäre gewesen, wenn sie ihre Stimmgewalt nicht ganz so ungezügelt strömen lassen hätten und ein bisschen mehr auf die Intimität der Kammerspiele-Bühne eingegangen wären. Irina Maltseva ist als Lucretia eine sehr gute Besetzung, sie wirkt als die leidende Frau in Gewissensnöten sehr überzeugend. Ihr großes Operntalent bewies Annina Wachter als Lucia, in der Höhe nur manchmal etwas zu Schärfe neigend.

Schlüssiges Bühnenbild
Camilla Lehmeier hingegen ist eine Luxusbesetzung für die Bianca. Im Bühnenbild kontrastieren historische Bezüge (ein Rundtempel – der Vestalinnen – für die keusche Lucretia) und moderne Settings recht schlüssig. Die Kostüme hat man so oder ähnlich zuletzt in vielen Inszenierungen gesehen, die Lichtregie (Michael Reinisch) trug zum Gelingen der Aufführung nicht unwesentlich bei.

Franz Gratl, Kronen Zeitung

 Tiroler Krone
Tiroler Krone
Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Tirol



Kostenlose Spiele