Ein Jahr danach

Amoklauf in Stiwoll: Es geht wieder bergauf im Ort

Steiermark
21.10.2018 06:15

Es ist ein prächtiger Sonntagvormittag, als Gewehrschüsse die ländliche Idylle zerreißen. Eine 55-jährige Frau und ein 64-jähriger Mann sacken tödlich getroffen zusammen, eine 68-Jährige überlebt schwer verletzt. Der Todesschütze, Friedrich Felzmann, ist seit jenem verhängnisvollen 29. Oktober 2017 verschwunden.

Die milde Herbstsonne taucht die Landschaft in goldenes Licht. Von den grünen Wiesen zupfen Kühe die letzten Grashalme, während bunte Blätter durch die Luft wirbeln. Ein gelbes Postauto schlängelt sich durch die engen Gassen hinauf auf den Berg. Hundegebell in der Ferne, ansonsten nur Stille und Natur. Weststeirische Idylle wie aus dem Bilderbuch. Genau so stellt man sich einen Ort mit 720 Einwohnern vor.

Nichts ist mehr so, wie es war
Und doch ist hier nichts mehr so, wie es einmal war. Stiwoll, ein Jahr danach. Ein Jahr nachdem Friedrich Felzmann, ein ortsbekannter Querulant, in den Vormittagsstunden des 29. Oktober 2017 zwei Menschen erschoss: Adelheid Hausegger, 55, und Gerhard Enzi, 64 Jahre. Es war das tödliche Ende eines jahrelangen Nachbarschaftsstreits um einen Weg auf Felzmanns Grundstück. Nach der Bluttat, bei der auch eine 68-Jährige schwer verletzt wurde, flüchtete der bewaffnete Doppelmörder. Seine Spur verliert sich in den dichten Wäldern rund um Stiwoll.

„Furchtbar, was damals passiert ist!“
Die ersten Allerheiligengestecke schmücken die Gräber des örtlichen Friedhofs. Erika in kräftigem Rot haben die verblühten Stiefmütterchen ersetzt. Da und dort zeugen Sonnenblumen vom langen Sommer. Hier, wo sich nicht nur das Grab der Familie Felzmann befindet, sondern auch Adelheid Hausegger ihre letzte Ruhe gefunden hat, entfernt Alfred S. mit der Gartenschere Unkraut. Seine Frau ist vor 14 Jahren gestorben. „Den Gerhard Enzi hab ich gut gekannt“, erzählt der Pensionist, während er das Grab seiner Gattin pflegt. „Furchtbar, was damals mit ihm und der Frau Hausegger passiert ist!“

„Ich habe die Schüsse gehört“
Alfred S. legt die Gartenschere weg, verschränkt die Arme. Dann beginnt er zu erzählen: „Ich habe die Schüsse gehört. Ein paarmal hat’s gekracht. Ich bin Jäger und habe mir gedacht, dass zu dieser Zeit ja niemand von uns schießt. Dann ist auch schon die Schwiegertochter dahergelaufen und hat geschrien, dass in Stiwoll geschossen wird.“

Ein Ort will zur Ruhe kommen
Nur wenige Hundert Meter entfernt bereitet man im örtlichen Gasthaus Frittatensuppe zu. Danach gibt’s Toast mit Ketchup. Wer vorbestellt, kriegt Putenschnitzel mit Pommes. „Der Ort ist weitgehend zur Ruhe gekommen“, sagt der Wirt. „Doch für die Angehörigen ist es natürlich nach wie vor schlimm. Damit, dass das Ganze zum Jahrestag wieder aufkocht, haben wir gerechnet. Aber mehr möchten wir dazu nicht mehr sagen.“ So halten es die meisten hier im Dorf. Sie möchten wieder zur Ruhe kommen, ihr „altes“ Stiwoll zurückhaben. Ein Stiwoll der unbeschwerten Dorffeste, des geselligen Vereinslebens, des engen Zusammenhalts.

„Ich wünsche keinem Bürgermeister, dass er das durchmachen muss!“
„Wir fürchten uns schon richtig vor dem Jahrestag“, bringt Bürgermeister Alfred Brettenthaler die Stimmung in seiner Gemeinde auf den Punkt. „Die meisten haben das Thema weggesteckt, doch jetzt wird man wieder überall daran erinnert.“ Seit vier Jahren ist der dreifache Familienvater Ortschef von Stiwoll, der verhängnisvolle Herbstsonntag hat sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt: „Ich wünsche keinem Bürgermeister, dass er so etwas durchmachen muss. Es war wirklich extrem.“

„Niemand im Ort hat mehr Angst“
Zu den Opferfamilien hält der 34-jährige ÖVP-Politiker, der im Hauptberuf Landwirt ist, nach wie vor Kontakt, ebenso zu den Töchtern des Amokschützen. Dessen Gattin, die nach wie vor im Dorf lebt, sieht er hie und da mit dem Auto vorbeifahren, „mehr hört man von ihr nicht“. Doch auch für sie stünden seine Türen offen, sagt Alfred Brettenthaler. Denn jetzt gehe es darum, mit dem Geschehenen abzuschließen: „Am 29. Oktober 2018 wollen wir endgültig einen Schlussstrich ziehen.“ Es werde keine Feier, kein offizielles Gedenken geben: „Jeder will seine Ruhe haben. Niemand hat mehr Angst, niemand verbarrikadiert sich im Haus. Für Stiwoll geht es wieder aufwärts!“

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