Schwarzes Dinner

Blindenverband serviert köstliche Speisen im Dunkeln

Steiermark
28.12.2009 13:09
Die Speisen sind köstlich, aber man sieht sie nicht – in Graz kann man an jedem dritten Wochenende beim Blinden- und Sehbehinderten-Verband ein exklusives Abendessen samt verblüffender ICH-Erfahrung buchen. Eine Reportage von Werner Kopacka, "Steirerkrone".

Schwärzer geht's nicht mehr. Die Dunkelheit umhüllt dich und nimmt dir jenen Sinn, mit dem du sonst das Schöne dieser Welt am besten erfassen kannst. Die Farben, die Bewegungen, Gesichter, Situationen. Hier bist du blind – und du bist da, weil du Blindheit begreifen willst. Du bist Gast bei einem Grazer "Dinner im Dunkeln".

Der Steiermärkische Blinden- und Sehbehindertenverband hat's organisiert. Schauplatz ist sein neues eindrucksvolles Haus in der Grazer Augasse 132. Ein Gebäude, das nach neuesten Erkenntnissen für Blinde und Sehbehinderte gebaut wurde – und in dem von nun an jedem dritten Wochenende Sehende mittels Top-Kulinarik und Sensibilität in eine lichtlose Welt entführt werden.

Abenteuer Dunkelheit erleben
Am Anfang steht wohl die Frage nach dem Warum. Klar, es kann jeden erwischen. Ein Unfall, eine unheilbare Krankheit – das Augenlicht ist für immer weg. Das Wie jetzt schon lernen? Nein, man geht hin, weil einen die Neugierde treibt. Man will das Abenteuer Dunkelheit erleben!

Eine Schleuse aus schwarzen Vorhängen trennt die beiden Welten. Wenn man sie durchschritten hat, dann hat man sein Augenlicht beim Veranstalter abgegeben. Eine Hand mit Stimme führt einen zum Tisch. Man fühlt den Stuhl, ertastet mit den Händen die Umgebung und setzt sich. Besteck, Servietten. Nicht die Augen, die Finger stellen klar, wo das Werkzeug für das bevorstehende Dinner bereit liegt.

Schweigen erzeugt Beklemmung
Die Begleitperson besteht ebenso nur aus einer Stimme wie die optisch unbekannten Tischpartner, die einem gegenüber sitzen. Man redet. Ohren und Stimmbänder ersetzen die Augen. Ich sehe dich nicht, aber ich höre dich! Nur fünf Sekunden Schweigen erzeugen bereits Beklemmung. Schwarze Einsamkeit. Worte ersetzen bald die Bilder. Die geteilte Nacht vereint. Bisher völlig Unbekannte erzählen einander ihre Lebensgeschichten.

Das verbale Eintauchen in die Dunkelheit wird von den beiden schwerst sehbehinderten Serviererinnen unterbrochen. Hier sind sie durch ihre aus der Notwendigkeit gewachsenen Sinne ganz klar im Vorteil. Du sitzt als hilfloses Würmchen da und umklammerst mit deinen Fingern das Besteck und das Glas mit dem Getränk, das dir serviert wurde. Der Tastsinn ist jetzt für dich der einziger Pfad in die reale Welt.

Speisen, die man nicht sieht, schmecken anders
Dann hörst du sie. Sie sagt dir, dass sie von rechts kommt und den Vorspeisenteller bereit hält. Du streckst die Hand aus, spürst irgendwann den Tellerrand und weißt damit, dass die Zeit des Speisens gekommen ist. Seltsam, welche Streiche einem der Geschmackssinn spielen kann, wenn ihn die Augen nicht unterstützen. Keiner in der Runde hätte darauf getippt, dass es sich bei der Suppe – die man gnädigerweise in einem leicht greifbaren Becher serviert bekommt – um eine aus Maronicreme handelte. Mein Tipp war Karfiol. Exzellent, wie alles, das der Grazer Gastronom Toni Legenstein ins Schwarz zaubert.

Wildschweinbraten und Lebkuchentörtchen. Mit Messer und Gabel irgendwie erstochert und unfallfrei zum Mund transportiert, wird alles, endlich bei den Kauwerkzeugen angekommen, zwar zu einem Gaumen-Genuss, landet aber am Ende doch unerkannt im Magen. Am Tisch wird jeder Bissen kommentiert. "Ich glaube, es ist Blaukraut, jetzt habe ich etwas zerkaut, das sich im Mund wie eine Mandarine anfühlt und das war eine dicke Nudel. Hast Du das gefunden, was ich für eine Birne halte?" Schmatzen und Raten im Dunkeln. Die Augen hätten alles geklärt. Aber so ist's spannender.

Totale Dunkelheit kann Angst machen
Mittlerweile ist jeder stolz darauf, dass er die genaue Position des Trinkglases kennt und mit diesem jederzeit zum Mund findet. Manuela, die kundige Serviererin, reagiert auf jeden Zuruf und ist in Sekundenschnelle zur Stelle, wenn nachgeschenkt werden soll. Später sagt sie uns, dass sie eine Spezialistin für Dunkel-Dinners ist und den Job in Wien schon oft getan hat. "Dabei ist es auch vorgekommen, dass Gäste nach wenigen Minuten in Panik verfallen und den Raum verlassen haben", sagt sie. Die totale Dunkelheit kann eben auch ein Angst-Erzeuger sein.

Die kulinarisch verfeinerte Blind-Zeit hat die Uhr gestoppt. In der Dunkelheit fliegen die Minuten viel rascher dahin. Drei Stunden dauert das von Manuela und Monika so sensibel servierte Festmahl. Deinem Empfinden nach ist höchstens eine Stunde vergangen, seit alles an einem fühlbaren Platz gelandet, die schwarze Umhüllung zur Realität dieses Abends geworden, und die Kellnerin zu einer angenehmen Stimme und einer sanften Berührung mutiert ist.

Erst am Ende sieht man, was man gegessen hat
Am Ende, nach dem Dessert, spürt man erstmals leichte Unruhe. Man will wieder ans Licht! Die letzten Minuten vor dem Gang durch die Schleuse scheinen endlos. Oben sieht man dann bei Kaffee, Kuchen und erlösendem Small-Talk, was man gegessen hat. Das oppulente und färbige Menü – im grellen Lampenlicht präsentiert. Man atmet befreit auf, weil man das Essen einigermaßen unfallfrei geschafft hat. Dann bemerkt man die Speise-Flecken am Hemd des anderen und wartet mit dem Lachen, bis man sein eigenes genau kontrolliert hat. 
Hier, außerhalb der Dunkelwelt, sieht man auch erstmals die Serviererinnen. Monika und Manuela, zwei fröhliche Frauen, die locker über ihren Job reden.

Du denkst, dass für sie das, was du jetzt mit deinen wiedergewonnenen Augen erfassen kannst, für immer verborgen bleibt. Und wenn du nach dieser ICH-Erfahrung nach Hause gehst, nimmst du auch etwas Demut und Dankbarkeit mit.

Details zum "Dinner im Dunkeln"

  • Die nächsten "Dinner im Dunkeln" finden am 15., 16., 22. und 23 Jänner statt. Daraufhin alle drei Wochen (mehr Infos in der Infobox).
  • Anmeldungen unter der Telefonnummer 0 316/68 22 40-30.
  • Ort: Steiermärkischer Blinden- und Sehbehindertenverband, Augasse Nummer 132; 8051 Graz.
  • Das Dinner kostet 39  Euro pro Person.
  • Der Steiermärkische Blinden- und Sehbehindertenverband wird fast ausschließlich durch Spenden finanziert. Die Kontonummer: Bawag, BLZ 14000; Nr. 862 107 267 66.
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