Grazer Opernpremiere

Trauma und Tod einer Schuldlosen

Steiermark
13.12.2015 18:17

Erstmals ist das melodramma tragico "Luisa Miller", das Giuseppe Verdi und Salvatore Cammarano 1849 über Friedrich Schillers "Kabale und Liebe" formten, an der Grazer Oper zu sehen. Eine hervorragende Besetzung findet in Paul Esterhazys präziser Regie und unter Robin Engelens angeregtem Dirigat zur absolut erlebenswerten Symbiose.

Es ist fast unglaublich, dass diese Oper in Graz noch nie zu hören war. Mit seiner "Luisa Miller" lieferte Verdi drei Jahre vor "La Traviata" zwar noch nicht die ganz großen Gassenhauer, dafür aber einen unerhört vielgestaltigen Schatz an musikalischen Charakteren, der die traditionellen Abläufe der "Solita forma" mit wundervollen lyrischen Szenen und allerhand experimentellen, weitgehend durchkomponierten Formen füllt.

Schiller ist Page
Der Wiener Regisseur Paul Esterhazy und sein Dramaturg Bernd Krispin vertrauen dieser Musik, die ihre Figuren als facettenreiche Individuen nicht selten mit einer zynischen Doppelbödigkeit von Klang und Aussage konfrontiert, voll und ganz. Esterhazy beschränkt sich in seiner Adaption der tragischen Handlung von Schillers "Kabale und Liebe", welche Verdis Librettist Salvatore Cammarano für Neapel maßgeschneidert hat, auf wenige, präzise Kommentare. Nichts davon verfremdet die tragische Geschichte von der nicht standesgemäßen Liebe zwischen der Soldatentochter Luisa und dem Grafensohn Rodolfo, die von einer grausamen Intrige ausgelöscht wird. In der historistischen Ausstattung Mathis Neidhardts (Licht: Stefan Bolliger) fahren Herrschaftsgeschoß und verfallendes Tiefparterre je nach Szene auf und ab. Was unten bei Miller und Luisa das Kreuz und die Betbank, sind oben bei Walter das Jagdgewehr und ein Safe, in dem die Kellerleichen seiner Machtergreifung verwahrt werden. Friedrich Schiller selbst kreuzt darin als barocker Page und Zeitzeuge seines bürgerlichen Trauerspiels von 1784 auf.

Wurm braut den Gifttrank
Im Sinne des deutschen Dichters hat Esterhazy die Figur des Intriganten Wurm stark aufgewertet, zum clownesken Geiferer. Seine kreuchend-fleuchende Dauerpräsenz - ein Double dringt bei jeder Gelegenheit wurm- und spinnengleich in den Bühnenraum ein - zeigt, dass die himmelschreiende Niedertracht der Intrige, an der das Liebespaar zugrunde geht, keine anonyme Macht ist, sondern eine menschliche Qualität. Wurm, den Wilfried Zelinka mit beängstigender Bühnenkonsequenz und füllig-gerundetem Bass verkörpert, füllt hier sogar den Giftbecher, mit dem Rodolfo den finalen Liebesmord und -Selbstmord vollzieht. Das erspart José Manuel den Spagat, vom glühenden Jüngling zu einem rasenden Macho werden zu müssen, dem man diese Handlung ganz alleine zutrauen würde. Eine Wandlung, die man dem jugendlich-agilen und wundervoll innig gestaltenden Tenor ohnehin nicht ganz abnähme. Denn was die stimmliche Kraft betrifft, fällt er als Einziger von einem ansonsten exzellent bis aufregend gut besetzten Ensemble ab.

Elia Fabbian als Miller von Statur
Dshamilja Kaiser trägt als Nebenbuhlerin Federica ernste Schatten in ihrem klaren, noblen Alt, während Petar Naydenov als Graf Walter seinen mittelgroßen Bass mit viriler Schärfe und souveräner Kultiviertheit bis in tiefe Lagen führt. Mezzosopranistin Yuan Zhang ist als klar und schön gestaltende Laura nur aus dem Off zu hören, ihr Bühnendouble ist Heidi Stahl in einer wirkungsvollen stummen Rolle als besorgte Haushälterin bei Miller. Der wiederum ist hier nicht Soldat, sondern ein Mann des Glaubens, ein moralisch erhabener Antipode Wurms. Der italienische Bariton Elia Fabbian verleiht ihm neben der verständnisvollen Väterlichkeit auch die Statur eines unerschütterlichen Menschlichkeitsrepräsentanten, der die zeitlosen Aufklärungs-Botschaften von Verdi und Cammarano eindrucksvoll verkörpert. Sein kraftvoll konturierter Bariton überzeugt im virilen Aufbegehren gegen den Tyrannen Walter ebenso wie im milden Dialog mit Tochter Luisa, die er vom Selbstmord abhält, um sie dann doch, vergiftet von Rodolfo, sterbend in den Armen zu halten.

Sophia Brommer als ideale Luisa
Und welch eine wundervolle Primadonna die neue Intendantin Nora Schmid nach Graz gelockt hat! Sophia Brommers warm schillernder Sopran beherrscht alles, von Gildas früher Mädchenhaftigkeit bis zum lyrisch-tragischen Schmelz einer Violetta. Die 34-jährige Deutsche, die im Sommer aus Augsburg nach Graz kam, ist eine schlichtweg ideale Luisa, und Regisseur Esterhazy legt ihr seine Inszenierung zu Füßen. Er bringt den Gewaltakt, den Wurm mit seinem Brief-Diktat an ihr begeht (Luisa soll ihre Liebe zu Wurm bekennen und Rodolfo damit zur Aufgabe der unstandesgemäßen Liebe bewegen), mithilfe eines nackten Luisa-Doubles als explizite Vergewaltigung auf die Bühne. Das ist starker Tobak für einzelne Buh-Rufer im Premierenpublikum, doch dramaturgisch jedenfalls gerechtfertigt. Denn nach der Pause, die durchaus passend mitten in den zweiten Akt fällt, ist Luisa ein gebrochenes, schwer traumatisiertes Nervenbündel, das die fatalistische Doppelbödigkeit mancher Gesangsstelle umso glaubwürdiger verkörpert.

Jubel für alle Solisten
Der erste Kapellmeister Robin Engelen erweist sich bei seiner dritten Grazer Premiere als ausgezeichneter Sängerdirigent, der die Stil-Collage von Verdis Partitur meist souverän und mit allerhand schönen Details zu stimmigen Bögen spannt. Er lässt das Orchester durchaus farbig aufschäumen, meidet aber alles Lärmende und gibt den Stimmen meist den Platz, die sie brauchen.  Engelen und sein engagiertes Opernorchester, bei dem vereinzelte Details noch nachreifen dürfen, erhielten am Ende ebenso freundlichen Zuspruch wie der von Bernhard Schneider einstudierte Opernchor, der das ganze Drama aus dem Halb-Off wunderbar differenziert begleitet. Der einhellige Jubel für alle Darsteller steigerte sich bei Wilfried Zelinka und Elia Fabbian noch deutlich - und schwoll bei Sophia Brommer gewaltig an. Viele Bravi und nur noch vereinzelte Buhrufe gab es am Ende für Regie und Ausstattung.

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