Nazi-Prozess

Demjanjuk will vor Gericht in München nicht aussagen

Ausland
01.12.2009 14:03
Am zweiten Verhandlungstag im Kriegsverbrechen-Prozess gegen den mutmaßlichen Nazi-Kollaborateur John Demjanjuk hat bei dem Angeklagten weiterhin das Schweigen regiert. "Er macht von seinem Recht, keine Angaben zu machen, Gebrauch", sagte sein Verteidiger Ulrich Busch in München. Der Staatsanwalt verlas am zweiten Prozesstag die Anklage, in der Demjanjuk als "unbarmherziger Mordhelfer" beschrieben wird.

Demjanjuk lag - wie schon am ersten Prozesstag - mit geschlossenen Augen auf einer Trage und hörte die Anklage regungslos an. Er unterhielt sich zwar zwischenzeitlich mit seinem Arzt und seinem Verteidiger, erneut machte er aber keinerlei Aussagen zum Gericht.

Überlebender im Gerichtssaal anwesend
Still verfolgten auch die 22 Familienangehörige von Ermordeten, als der Staatsanwalt die Liste der in Sobibor eintreffenden Transporte verlas. Der Sobibor-Überlebende Thomas Blatt fasste Demjanjuk fest ins Auge, als die Namen und das Todesdatum seiner Mutter, seines Vaters und seines zehnjährigen Bruders Henry genannt wurden. Einige sähen in Demjanjuk einen alten, kranken Mann, sagte Blatt. 

"Ich sehe auch einen Mann, der die Juden in die Gaskammern gebracht hat." Die ukrainischen SS-Helfer als Opfer mit den jüdischen Arbeitshäftlingen auf eine Stufe zu stellen, wie dies Demjanjuks Wahlverteidiger Ulrich Busch am Montag getan hatte, sei "idiotisch": Ein so schlechter Scherz könne nur einem "völligen Idioten" einfallen, sagte der Sobibor-Überlebende.

"Gefühllos und unbarmherzig"
Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz sagte bei der Anklageverlesung, der gebürtige Ukrainer sei im Jahr 1943 ein halbes Jahr Wärter in Sobibor gewesen. In dieser Zeit seien dort 15 Züge mit aus den Niederlanden deportierten Juden angekommen. In den Zügen wurden laut Anklage zwischen 1.100 und 3.030 Juden deportiert, insgesamt waren es demnach 29.579. Wie Lutz sagte, starben davon mindestens 27.900. Demjanjuk habe sich als Wärter, der die Juden in die Gaskammern trieb, der Beihilfe zum Mord an diesen schuldig gemacht. 

"In gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung" habe er gemeinsam mit anderen Wachmännern und SS-Leuten die Menschen in die Gaskammern getrieben, "weil er selbst deren Tötung aus rasseideologischen Gründen wollte".

Verteidiger versucht weiter, das Verfahren zu beenden
Verteidiger Busch beantragte die sofortige Einstellung des Verfahrens, nachdem er schon am Vortag das Schwurgericht und die Staatsanwaltschaft - ohne Erfolg - wegen Befangenheit abgelehnt hatte. Die deutsche Justiz sei nicht zuständig, der Prozess sei rechtsstaats- und verfassungswidrig und Demjanjuk sei schon 1993 in Israel vom Vorwurf des Mordes in Sobibor freigesprochen worden. Damals war Demjanjuk allerdings für den berüchtigten Treblinka-Wachmann "Ivan der Schreckliche" gehalten worden und in Isreal sieben Jahre in der Todeszelle gesessen, ehe das Oberste Gericht das Urteil aufgrund der Verwechslung aufhob. 

Busch argumentiert trotzdem, die neue Anklage verletze den Grundsatz, dass ein Verdächtiger nicht zweimal wegen desselben Vergehens angeklagt werden dürfe. Auch in Polen sei schon gegen Demjanjuk ermittelt worden, dieses Verfahren sei rechtskräftig ohne Anklage eingestellt worden. Außerdem bestehe keine deutsche Staatszuständigkeit für den Prozess, sagte Busch.

Demjanjuk hat keinen Krebs
Der Verteidiger des 89-Jährigen macht außerdem die gesundheitlichen Beschwerden seines Mandanten geltend. Die medizinischen Gutachter bei Gericht haben dagegen eine tödliche Erkrankung von Demjanjuk verneint. Nach Aussagen eines Mediziners handelt es sich bei Demjanjuks Knochenmarkserkrankung noch nicht um eine Krebserkrankung (Altersleukämie), sondern allenfalls um eine Vorstufe dazu. Die Ärzte legten zu Prozessbeginn fest, dass wegen der angeschlagenen Gesundheit des Angeklagten pro Verhandlungstag nicht länger als zweimal 90 Minuten verhandelt werden darf. Demjanjuk leidet laut ärztlichem Gutachten auch an Gicht, Herzschwäche und Bluthochdruck.

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