Dosis Ohrensausen

KoRn und Co. live, backstage und im Interview

Musik
21.02.2008 14:40
Obwohl das Wetter in Wien draußen so heiter war wie schon länger nicht mehr, suchte die Hauptstadt am Mittwochabend ein gewaltiges Donnerwetter heim: Die Nu-Metal-Legenden KoRn ließen mit ihrem Gefolge die Wiener Gasometer erbeben und rockten sich trotz Personalnotstand in einem für ihre Verhältnisse überlangen 100-Minuten-Konzert den sprichwörtlichen Arsch ab. krone.at hatte vor der Show die Gelegenheit, anderthalb Stunden Backstage-Luft zu schnuppern. Außerdem führten wir ein kurzes Interview mit KoRn-Bassist Reginald "Fieldy" Arvizu und eines mit Flyleaf, einer Alternative-Metal-Formation aus Texas, die als zweite Vorband das Publikum anheizte.
(Bild: kmm)

Man erwartet sich, in einen kleinen Ameisenhaufen zu stechen, wenn man in den Backstagebereich der Wiener BA-CA-Halle in der "Gasometer City" eintritt. Doch nichts dergleichen. Tätowierte Tour-Management-Mitarbeiter von KoЯn (das gespiegelte "R" funktioniert aus technischen Gründen erst ab hier) und seiner Gefolgschaft, den Industrial-Rockern Deathstars (Schweden) und Flyleaf, sitzen friedlich mit ihren Laptops auf dem Schoß in den Gängen (...und haben anscheinend alle einen Sponsorvertrag mit einem "fruchtigen" Computerhersteller). Ein Duftkerzerl brennt im klinisch sauberen Flur, den Konzertposter mit Autogrammen von Molokko bis Alanis Morissette zieren. Das von den Zuschauern draußen breitest ignorierte Rauchverbot wird backstage strikt eingehalten. "Rock'n'Roll" gibt's erst, wenn die Arbeit getan ist.

Und so herrscht hier hinten ein kontrolliertes Gewusel aus mit Funkgeräten ausgerüsteten Tontechnikern, den bekannten Gesichtern der österreichischen Konzertveranstalter-Crew und den breitschultrigen Event-Security-Mitarbeitern, die mit grimmigem Standardgesichtsausdruck durch die Gänge huschen. Die Amis vertreiben sich am Gang die Zeit und gucken YouTube-Videos, während die Deathstars aus Schweden mit ihren mitgebrachten Groupies über das Catering-Buffet herfallen.

Fieldy von KoЯn ist knapp eine Stunde später dran, weil er sich im Hotel noch ein (mit Sicherheit wohlverdientes) Nickerchen gönnte, Flyleaf quatschen so intensiv, dass sich der Zeitplan ein bisschen verschiebt. Hektik bricht hier aber zu keinem Zeitpunkt aus, denn für den Soundcheck braucht man Bandmitglieder in digitalen Zeiten wie diesen nicht mehr - es reicht, wenn sie fünf Minuten vor "Stagetime" da sind, die Toneinstellungen übernehmen sowieso die Roadies.

Mit knapp einer Stunde Verzögerung beginnt dann um halb acht unser Interview mit Frontfrau Lacey Mosley und Bassist Pat Seals von Flyleaf, die uns in ihrer Garderobe endlich mit ein bisschen "Rockstar-Chaos" empfangen und erzählen, wie sie als bekennend "christliche Rockband" die Waagschale zwischen Glaube und Kommerz halten. Inzwischen ist auch KoЯns Bassist Fieldy samt Ehefrau und Frontmann Jonathan Davis eingetroffen und gewährt eine Zehn-Minuten-Audienz. Als wir den Backstagebereich verlassen und zum Ausgang, der neben der Bühne vorbeiführt, schlendern, spielen schon die Deathstars. Draußen, gut geschützt durch die blickdichte Absperrung, steht Jonathan Davis in Jeans und Hemd, hört dem Publikum beim Aufwärmen zu und sagt im Vorbeigehen: "It's gonna be a fuckin' good show."

Flyleaf - geballte Power auf 150 Zentimetern
Nachdem die Deathstars mit ihrer Mischung aus Rocky Horror Picture Show und Nine Inch Nails die Halle aufgewärmt haben, liegt es an den jungen Texanern Flyleaf, die ausverkaufte Halle für den Headliner aufzukochen. Ihr selbstbetiteltes Album hat in den USA mittlerweile Platinstatus, obwohl die Bandmitglieder nach eigenen Angaben mit dem Sound der Platte unzufrieden sind. "Wir klingen live überhaupt nicht so", sagt Lacey Mosley, eine der ungewöhnlichsten Erscheinungen der Metalszene. Die 1981 geborene Sängerin ist vielleicht etwas größer als einen Meter fünfzig, ihr Handgelenke kaum breiter als der Hals ihres Mikros, und sie sagt von sich selbst, dass Gott ihre Leben gerettet hat und sie eine manisch-depressive Songwriterin ist.

Schon beim ersten Song der Band wird klar, wie das mit "klingen live überhaupt nicht so" gemeint war: Vom tontechnisch sauber geputzten Sound der Platte ist hier kein Deut zu vernehmen. Dreckig, laut, druckvoll rast eine Staubwelle durch das Publikum. Bassist Pat Seals, der im Interview eindeutig der schüchterne von beiden war, vollführt Sprünge von den Lautsprechertürmen und malträtiert sein Instrument, als müsste er ihm den Teufel austreiben, derweil steigert sich Lacey Mosley in jeden Song hinein, als würde ihr der Monstervogel, den KoЯn im Hintergrund aufgehängt haben, leibhaftig im Genick sitzen. Die zierliche Frau hat eine beachtlich durchsetzungsfähige Stimme, die gegen den Dampf ihrer Band ankommt; wenn's einmal kritisch wird, fängt sie einfach an zu brüllen. Es sei verdammt hart, für KoЯn die Anheizer zu spielen, sagte Pat Seals. Doch im Gasometer klappt es, der Funke springt über. Für KoЯn ist das Publikum jetzt bereit.

"Freak On A Leash" mit Carmen Electra
Frenetischer Jubel setzt ein, als Jonathan Davis und Bassist Fieldy um 22.15 Uhr die Bühne betreten. Die Tour ist nach den krankheitsbedingen Absagen von 2006 (Fieldy: "Jonathan wäre fast gestorben") heuer von Personalnotstand geprägt. Gitarrist "Munky" musste vor ein paar Wochen Auszeit nehmen, weil sein Vater schwerkrank wurde und kehrt erst am Samstag bei der Show in Mailand wieder. "Bitch, we have a problem", den Titel der Tour, hat man Fieldy und Davis seit der ersten Show wohl öfters sagen hören.

Aber wie von Fieldy angekündigt, stellt sich der Personalnotstand im Gasometer keineswegs als Hindernis dar. Seine Beschreibung, der Sound sei "fuckung tight", trifft absolut zu. Sie nageln jeden Riff auf den Punkt, zusammen mit Shane Gibson (git), Rob Patterson (git), Kalen Chase (backing vocals, electr. percussion), Zac Baird (key), Ray Luzier (dr) überrollen Jonathan Davis und Fieldy die knapp 3.000 frenetisch feiernden Fans mit einer knochenbrechenden Soundwelle.

Die aktuelle Single "Hold On" kennt man in Wien ebenso auswendig wie alte und ältere Kracher à la "Falling Away From Me", "A.D.I.D.A.S." oder "Here To Stay". Bei "Bagpipes" kommt Jonathan Davis mit Dudelsack auf die Bühne, was für mitreißende Begeisterungsstürme beim stetig weiter austickenden Publikum sorgt. Der Druck ist enorm, die schrägen Töne aus dem Blasinstrument fühlen sich an wie eine Stadionhupe aus fünfzig Zentimetern Entfernung. Spätestens jetzt bemerkt man die hohe Lautstärke. Drummer Ray Luzier schenkt heute niemanden etwas, trommelt die Halle mit irren Fills und bestialisch schnellen Doublebass-Strokes bei "Helmet In The Bush" in Grund und Boden. Ein Sumoringer springt am Trommelfell Trampolin, als Fieldy die ärgsten Subbässe aus seinem Instrument rausholt. Der vom "Metal Hammer" zum "Bassist of the Year 2005" gewählte 38-Jährige stimmt seine Saiten noch einen Ganzton tiefer als natürlich und schafft es, sie derart zu malträtieren, dass der Roadie ihm im Gasometer mitten im Song einmal das Instrument tauschen muss, weil die dicke Drahtpeitsche aus dem Sattel gesprungen war.

Indes erwies es sich für männliche Konzertbesucher im Nachhinein als vorteilhaft, wenn man keinen Platz mehr in der Mitte erwischt hat, sondern vorne rechts neben der Bühne stehen musste, wo man heute aber ohne Soundeinbußen ebenfalls von der Atmosphäre mitgerissen wurde. Gerüchte gab es ja schon im Vorfeld, der 1999er-Hit "Freak On A Leash" kommt dann passend zum Anlass: Carmen Electra, Freundin von Backliner-Gitarrist Rob Patterson und in Natura kaum größer als Lacey Mosley, schiebt sich samt Zofe durch die Zuschauer in Richtung Backstageeingang und bringt gestandene Männer zum aufgeregten Tuscheln. Foto ging sich leider keines aus.

Aber zurück zum Konzert-Finish: Die letzten zwanzig Minuten bestreiten KoЯn mit nostalgischen Hits, die die Stimmung zum Überkochen bringen: "Evolution" vom aktuellen Album, ein beeindruckend orgastisch gespieltes "Ass Itch", bei dem Jonathan Davis hinter seinem kultig-bizarren Mikroständer von Alien-Vater HR Giger vollends die Beherrschung verliert, die als Nu-Metal-Einstiegsdroge geltende Nummer "Blind" und zum Ende ein brutales "Got The Life", vor dem sich Davis, sein Publikum liebevoll "fucking motherfuckers" nennend, verabschiedet. Diese Dosis Ohrensausen hat sich definitiv ausgezahlt.

Von Christoph Andert
Fotos: Andreas Graf



Die KoЯn-Setlist

Right Now
Love Song
A.D.I.D.A.S.
Hold On
Starting Over
Falling Away From Me
Coming Undone
Here To Stay
Ever Be
Faget
Bagpipes
Helmet In The Bush
Freak On A Leash
Bottled Up Inside
Kiss
Evol

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele