Terror-Verdächtiger

Vom Kampfprediger zum Friedensapostel?

Österreich
21.10.2007 13:15
Der Cobra-Zugriff auf drei mutmaßliche Terroristen mitten in Wien sorgte für weltweite Aufregung: Immerhin steht der Rädelsführer unter Verdacht, "Sprachrohr der Al-Kaida" zu sein. Fünf Wochen später gibt sich Mohamed M. (22) hinter Gittern kleinlaut. In der U-Haft betet er, liest den Koran, schreibt Liebesbriefe an seine Frau - und bestreitet jegliche Terror-Absicht.

Mohamed M. sitzt seit Mitte September im Wiener Landesgericht in einer Zelle. Nach der spektakulären Verhaftung stellt sich Österreich die Fragen: Stimmen die Anschuldigungen? Ist der islamische Internet-Experte nur ein kleiner Angeber - oder hatte er tatsächlich Topkontakte zur Al-Kaida? Und: Arbeitete er sogar als Sprachrohr für diese Terrororganisation?

Er träumt von seiner Frau und Kindern
Als erstes und einziges Medium hat die "Krone" dem 22-jährigen U-Häftling diese und andere offene Fragen stellen können; über Terror, Tod und islamistische Märtyrer. Fazit: Hinter Gittern gibt sich der ehemals bei Demonstrationen laute Frontmann sehr leise, ja sogar kleinlaut. Im "Krone"-Gespräch bestreitet er alle Terror-Kontakte. Sein einziges Interesse gelte seiner ebenfalls inhaftierten Frau Mona - und Allah!

"Alles, was über mich behauptet wird, sind nur Lügen! Ich habe mit Terrorismus nichts zu tun! Mein Traum ist, mit meiner Frau in Ruhe zu leben, mein Informatikstudium abzuschließen und einmal Kinder zu haben", so der islamische U-Häftling, der bis zuletzt von 427 Euro Sozialhilfe im Monat gelebt hat. Keine Spur von einem wilden Islamisten, der mitten in Wien ein Doppelleben geführt haben soll.

Tagwache ist für Mohamed im grauen Haus vor sechs Uhr. "Als Erstes verrichte ich mein Frühgebet. Dann folgen Morgenkontrolle und Frühstück. Nach dem Besuch meines Verteidigers gehe ich im Innenhof eine Stunde spazieren. Bettruhe ist um 22 Uhr. Da wird das Licht abgeschaltet", erzählt der 22-Jährige. Die angeblich von ihm veröffentlichte Internet-Drohung hatte im März ganz Österreich in Angst versetzt. In der Videobotschaft forderten Islamisten den Abzug der österreichischen Soldaten in Afghanistan.

Liebesbriefe statt Drohbotschaften
Gegenüber der "Krone" äußert Mohamed kein Wort von massiven Drohungen. Er und seine junge Frau Mona (20) - sie wurden elf Tage nach der Hochzeit getrennt - schreiben sich täglich Liebesbriefe. "Die Briefe werden vom U-Richter kontrolliert, damit nichts über den Akt besprochen wird", so der U-Häftling. "Ich denke immer an meine Frau und vermisse sie sehr. Ich erinnere mich an die wunderschönen Zeiten und bete für sie", zeigt er sich als verliebter Bräutigam. "Hassbotschaften, Märtyrertod oder Internet-Diskussion über Waffen sind für mich kein Thema", so der Mann, der von manchen als "Österreichs Terrorverdächtiger Nummer 1" gesehen wird.

Und so bestreitet Mohamed jede Verdächtigung, sich jemals für ein Terror-Camp im Sudan interessiert zu haben. "Die Reise mit meiner Frau war nur als Hochzeitsreise geplant. Ich hatte schon die Retour-Tickets gebucht." Außerdem sei er nach mehreren Operationen für ein Trainingslager untauglich. "Ich wollte auch nie zum Bundesheer, weil ich keine Waffen tragen will, und habe mich deshalb für den Zivildienst gemeldet", verneint der Verdächtige, jemals Kontakt zum Al-Kaida-Vizechef al-Zawahiri gesucht zu haben. Er sei auch kein Internetchef dieser Extremisten.

Selbst für seinen umstrittenen Iran-Besuch im Jahr 2003 hat Mohamed eine Erklärung: "Ich wollte in der iranischen Hafenstadt Bandr Abbas mein eigenes Leben aufbauen. Von null beginnen und arbeiten!"

Blutige Sprengstoffanschläge, Entführungen und Terror-Tote? Alle nach dem monatelangen Lauschangriff auf mehr als 5000 Seiten gesammelten Vorwürfe und Indizien - vom Sprengstoffgürtel über Anschlagspläne bis hin zu Al-Kaida-Verbindungen - weist der Verdächtige zurück. "Wer das behauptet, lügt!" reagiert der Beschuldigte verärgert. "Für mich gibt es überhaupt nur Lösungen ohne Terror. Ich verurteile den Anschlag vom 11. September. Denn im Islam ist es streng verboten, unschuldige Zivilisten zu töten", so Mohamed, der sich von jeglicher Gewalt distanziert.

Keine Spur mehr von Kampfparolen
"Mein Mandant verurteilt strikt jeden Anschlag, wo Menschen getötet werden", bekräftigt auch sein Verteidiger, Roland Friis, die friedfertige Einstellung. Verglichen mit den "überaus kämpferischen Aussagen" in den Akten der Ermittler, scheint hinter Gittern eine Wandlung passiert zu sein: Vom Saulus zum Paulus, vom kämpferischen Demonstranten zum Friedensprediger?

Auch die brandgefährlichen Internet-Diskussionen oder -Fantasien auf islamistischen Web-Seiten würden nicht von ihm stammen. Ebensowenig habe er sich je über Polit-Attentate (auf Strache oder Haider), Anschläge (von der OPEC bis zur EURO) oder Drohungen (gegen Österreichs Tourismus) etc. geäußert. Mohamed behauptet auch, keine Kontakte zu Kidnappern in Afghanistan, im Gaza-Streifen oder im Irak besessen zu haben. "Ich kann nur an die Entführer appellieren, ihr Opfer Bert Nussbaumer freizulassen."

Vertraue auf Allah, er wird mir helfen!
Trotz vieler Vorwürfe und Indizien soll aus dem früheren - angeblich im Internet - kämpferischen Aktivisten nun eine Art islamischer Friedensapostel geworden sein. "Ich vertraue auf Allah, und ich weiß, dass Er mir helfen und mich unterstützen wird", scheint Mohamed nicht die geringste Angst vor einer langen Haft zu haben. Alles, was er will: "Mit Mona in Ruhe leben und mit ihr alt werden."

Von Christoph Matzl & Christoph Budin

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