Skurriler Nebenjob

Keine Versuchskaninchen: Medikamententester

Zahlreiche Wiener nehmen jährlich als Probanden an Medikamententests teil. Vor allem Medizinstudenten und jene anderer Fachrichtungen bessern sich dadurch ihr Konto auf. Was auf den ersten Blick wie ein ziemlich gefährlicher Nebenjob klingt, hat nicht mehr Risiken, als Tabletten in der Apotheke zu kaufen, welche man zum ersten Mal einnehmen wird. City4U hat mit einem Studienleiter über die Beweggründe der Probanden und die Aufwandsentschädigung gesprochen.

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Ungefähr 300 Medikamententests und 500 klinische Studien werden jedes Jahr in Österreich, vor allem auch im AKH Wien, durchgeführt. "Jeder, der neue Arzneimittel möchte, muss zu Tier- und Humanexperimenten Ja sagen", weiß Dr. Markus Zeitlinger, interimistischer Vorstand der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie um die Wichtigkeit dieser Tests. Welche Kriterien man erfüllen muss, um selber mitmachen zu können und welche Nebenwirkungen am häufigsten auftreten, hat er im Gespräch mit City4U verraten.

#Tausende Medikamententester

3.000 Freiwillige haben sich allein an der Klinik der MedUni Wien in den letzten zehn Jahren in den Dienst der medizinischen Forschung gestellt. Wie viele Probanden pro Studie teilnehmen, ist unterschiedlich. "Das hängt von der Phase der Arzneientwicklung ab. Steht ein Medikament kurz vor der Zulassung, so wird es an Hunderten oder sogar Tausenden getestet, auch international. Es gibt weiters Studien mit 50 bis 60 Probanden oder nur mit zehn", erklärt Dr. Zeitlinger. Die Bandbreite der Anzahl der Teilnehmer geht von nur zehn bis mehrere tausend.

#Jung, gesund und männlich

Welche Kriterien die Probanden erfüllen müssen, hängt von der jeweiligen Studie ab. "In den Frühstudien werden junge, gesunde Männer bevorzugt. Männer deswegen, weil sie nicht schwanger werden können. Wir wollen jedes Risiko für ungeborene Kinder vermeiden. Gesund, weil wir vergleichbare Menschen brauchen und jung, da bei älteren Menschen zum Beispiel Gelenkschmerzen verbreitet sind. Wenn wir aber ausschließen wollen, ob das Medikament als Nebenwirkung solche Schmerzen hervorruft, würde das nicht funktionieren", erläutert der klinische Pharmakologe. In späteren Phasen werden die Medikamente dann an den Menschen getestet, die an der Krankheit leiden, für die das Arzneimittel gedacht ist. "Krebsmedikamente werden von Anfang an an den Betroffenen getestet. Die damit verbundenen Nebenwirkungen wären zu gefährlich für gesunde Leute."

#Strenge Auflagen

Richtig gefährlich ist der Nebenjob als Medikamententester jedoch nicht wirklich. "Es gibt da ganz rigide Auflagen. Die Ethikkommission und staatliche Behörden müssen die Studie genehmigen. Null Risiko ist es natürlich nicht, aber das gibt es auch bei der Anwendung von Medikamenten nach der Zulassung nicht", meint Dr. Zeitlinger. Nach umfangreichen Tierversuchen und der Genehmigung durch die Behörden, starten schließlich die Tests am Menschen. "Die Anfangsdosis ist ein Hundertstel bis Zehntel jener Dosis, die beim Tier unbedenklich war, also keinerlei Reaktionen hervorgerufen hat." Die erste Kohorte - acht bis zehn Probanden - bekommt also die Minimaldosis verabreicht. Danach wird eine bestimmte Zeit gewartet, ob Nebenwirkungen auftreten. Ist dies nicht der Fall, bekommt die nächste Kohorte eine etwas erhöhte Dosis bis schließlich jene erreicht wird, bei der man mit der erhofften Wirkung der Substanz rechnet. "Oft ist ein Medikamententest für den Einzelnen vergleichbar mit dem Risiko, sich neue Tabletten in der Apotheke zu kaufen, welche man vorher noch nie probiert hat. Obwohl diese vor der Zulassung eben in klinischen Studien genauestens untersucht wurden, kann der Einzelne dennoch Nebenwirkungen erfahren oder allergisch reagieren", vergleicht Dr. Zeitlinger. "Historische Beispiele von schweren Zwischenfällen bei Medikamententests darf man jedoch niemals vergessen, dies ist wichtig um die maximale Sicherheit der gesunden Probanden zu gewährleisten und nicht nachlässig zu werden. Die Sicherheit einer gesunden Versuchsperson muss unabhängig von der Fragestellung vorgehen."

#Der Lohn für die Mühe

Die Studiendauer variiert ebenso wie die Anzahl der Teilnehmer. "Manche dauern bis zu drei Jahre, zum Beispiel wenn ein neuer Impfstoff getestet wird. Da sieht man dann erst nach einer längeren Periode, ob das Testmittel auch wirkt. Andere Studien sind kürzer, aber intensiver, etwa wenn man zwei Infusionen pro Tag bekommt." Auch der Lohn für die Mühe variiert, da nicht das Risiko, sondern der Zeitaufwand der Probanden bezahlt wird. Wenn man in einer dreijährigen Studie am Anfang einmal geimpft und am Ende untersucht wird, erhält man nicht so viel, als wenn man zehn Mal pro Tag auf die Toilette und den Urin für Untersuchungen sammeln muss. "Die Höhe der Aufwandsentschädigung wird ebenfalls von der Ethikkommission überwacht. Damit soll eine Überbezahlung verhindert werden, damit man Menschen in Notsituationen nicht in klinische Studien drängt", betont der klinische Pharmakologe. So bekommen die Probanden für ein EKG etwa vier Euro, pro Blutabnahme fünf Euro, für eine Vor- und Nachuntersuchung je 20 Euro.

#Geld, Interesse, Genesung

Warum entscheidet man sich also dazu, als Proband Medikamente zu testen? "Auch das hängt wieder von der Studie ab. Für unsere vielen Studenten ist es natürlich der finanzielle Aspekt. Die brauchen nicht allzu viel Geld und wenn sie dann mit einer Studie ein paar Hundert oder manchmal auch Tausend Euro bekommen, hilft ihnen das schon sehr. Natürlich sind auch einige Medizinstudenten dabei, die die Abläufe in der Forschung kennenlernen möchten", erzählt Dr. Zeitlinger. Wieder andere schätzen es, im Krankenhaus so richtig durchgecheckt zu werden oder Zugang zu Medikation zu haben, die andere nicht haben. "Menschen mit zum Beispiel Hauterkrankungen machen mit, um zu sehen, ob die neuen Arzneimittel bei ihnen helfen. Krebspatienten nehmen teil, damit sie früher Zugang zu neuen Medikamenten haben." Aufwandsentschädigungen erhalten übrigens nur gesunde Menschen. Probanden mit der jeweiligen Krankheit haben einen gesundheitlichen Nutzen von den Tests.

#Wie werde ich Medikamententester?

Wer Interesse an diesem Nebenjob hat, der kann sich in der Probandendatenbank registrieren. "Man kann auch anrufen oder sich per Mail an uns wenden. Wenn man das möchte, kann man Unterlagen über die jeweilige Studie auch zugeschickt bekommen, das eigentliche Aufklärungsgespräch muss aber immer persönlich durch den Arzt erfolgen", so der Arzt, der etwa 30 Studien pro Jahr durchführt. Im Moment läuft ein Medikamententest für Neurodermitispatienten. Eine Creme wird dabei zwei Mal pro Tag auf das betroffene Areal aufgetragen - das machen die Probanden selbstständig zu Hause. Nach einer Woche wird im Krankenhaus ein Abstrich gemacht um die Wirkung zu bestätigen. "60 Patienten haben bisher teilgenommen, zehn werden noch gesucht." Obwohl Dr. Zeitlinger schon seit Jahren die Wirkung von neuen Medikamenten testet, sind die unangenehmsten Nebenwirkungen meist auf Übelkeit und kleine allergische Reaktionen beschränkt", ist Dr. Zeitlinger froh. "Aufpassen müssen wir jedoch jeden Tag, schließlich sind unsere Probanden keine Versuchskaninchen."

Dezember 2017

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