Deutsche Polit-Krise

“Gespräche chaotisch, Merkel war überfordert”

Ausland
20.11.2017 10:47

Nach den gescheiterten Verhandlungen zur "Jamaika"-Koalition ist Deutschland drauf und dran, in eine innenpolitische Krise zu schlittern. Nicht nur die drohenden Neuwahlen, auch gegenseitige Schuldzuweisungen sorgen jetzt für Missstimmung zwischen den Polit-Akteuren. FDP-Politiker Volker Wissing erklärte in Richtung Bundeskanzlerin Angela Merkel, die CDU/CSU sei mit dem Regierungsbildungsauftrag offensichtlich überfordert gewesen. Merkel selbst war am Montag um Beschwichtigung bemüht.

Die Kanzlerin habe "chaotische Sondierungsverhandlungen organisiert. Sie hat die Lage völlig falsch eingeschätzt", so Wissing. Die Union habe große Zugeständnisse an die Grünen gemacht, während der FDP nur "Brosamen" angeboten worden seien. Die Grünen hätten immer neue Forderungen gestellt und "keinen Millimeter Bewegung" gezeigt. "Wir fühlten uns am Ende von den Gesprächspartnern nicht mehr ernst genommen", sagte Wissing am Montag im Deutschlandfunk.

Er verteidigte den Rückzug seiner Partei aus den Sondierungen. "Die Gespräche verliefen die gesamte letzte Woche von Tag zu Tag schlechter." Nach vier Wochen seien zuletzt noch immer mehr als 200 Punkte strittig gewesen. Daher sei am Sonntag klar gewesen, dass ein "Jamaika"-Bündnis keine Chance habe. Wissing unterstrich, die FDP stehe auch künftig für Regierungsbeteiligungen zur Verfügung, "aber nicht um jeden Preis".

Merkel: "Haben nichts unversucht gelassen"
Merkel selbst bedauerte das Scheitern der Verhandlungen. Vonseiten der CDU und CSU sei "nichts unversucht" geblieben, eine Lösung zu finden, sagte Merkel in der Nacht auf Montag. Die sondierenden Parteien hätten sich "auf einem Pfad befunden, auf dem wir eine Einigung erreichen hätten können" - natürlich mit Abstrichen, wie sie ergänzte.

Auch mit den Grünen hätte es beim Thema Zuwanderung eine Lösung geben können. Merkel betonte, sie wolle nun Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kontaktieren und "schauen, wie sich die Dinge weiterentwickeln". CDU und CSU würden aber Verantwortung für Deutschland übernehmen. Sie glaube, die Mehrheit der Deutschen hätte sich gewünscht, "dass wir zusammenfinden. Dem fühlen wir uns verpflichtet."

"FDP-Ausstieg war ein kalkulierter Akt"
Schützenhilfe erhält Merkel aus den Reihen der CSU. So erklärte der Chef der CSU-Fraktion im bayrischen Landtag, Thomas Kreuzer, der Ausstieg der FDP aus den Koalitionsverhandlungen sei "ein kalkulierter Akt" gewesen. "Ich glaube, dass die FDP aus ihrer Sicht konsequent gehandelt hat - aber aus Sicht des Staates ist es nicht gut", so Kreuzer.

Kreuzers Parteikollege, CSU-Chef Horst Seehofer, bezeichnete den Abbruch als "Belastung für Deutschland". Eine Einigung sei "zum Greifen nahe" gewesen, so Seehofer. Auch bei der Migrationspolitik wäre eine Einigung möglich gewesen. Er sei den ganzen Tag davon ausgegangen, dass es eine Einigung auf Koalitionsverhandlungen geben werde, sagte Seehofer.

Grüne: "Waren kurz vor einer Einigung"
Nach Angaben der Grünen hat die FDP die "Jamaika"-Gespräche in dem Moment platzen lassen, als eine Einigung unmittelbar bevorstand. "Es wäre kurz vor einer Entscheidung gewesen und kurz zuvor ist die FDP weggerannt", sagte Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". "Sie haben sich ihre Jacken gepackt und sind fluchtartig rausgerannt."

Zuvor hätten sich die Verhandlungsführer noch einmal getroffen. Dabei habe es Signale der CSU gegeben, sich auch bei der Flüchtlingspolitik und dem Familiennachzug nochmals zu bewegen. Auch ein "substanzielles Angebot" zur Klimakrise sei auf dem Tisch gelegen. "Dann hat die FDP vielleicht gedacht, jetzt einigen sie sich doch noch, und dann ist sie davongestürmt", sagte Kellner. Er habe den Eindruck, dass es "ein Rausstehlen aus der Verantwortung" war. "Wenn es mal Bewegung aufseiten der CSU gab, dann ist die FDP in die Bresche gesprungen und hat die Fahne der CSU hochgehalten", sagte Kellner.

Minderheitsregierung oder Neuwahlen?
Bei den Grünen rechnet man eher mit Neuwahlen als mit einer Minderheitsregierung. Die FDP signalisierte am Montagvormittag, dass man sich vorstellen könne, eine Minderheitsregierung von Kanzlerin Merkel zu unterstützen. "Wenn es gute Initiativen gibt, dann stehen wir zur Verfügung", sagte FDP-Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann in der Sendung "Die richtigen Fragen" der "Bild" am Montag. "Wir wollen keine Fundamentalopposition betreiben, sondern wir wollen uns konstruktiv einbringen."

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