Verfolgte Chinesin

Die Brille die zu viel sah

Nachrichten
03.11.2017 17:51

Die Frau, von der in der Sportwelt in der letzten Zeit am meisten gesprochen wurde, ist 79 Jahre alt, lebt in einem deutschen Flüchtlingscamp und trägt eine runde Brille, mit der sie - es scheint so - einfach zu viel sah.

Xue Yin Xian heißt die Sportärztin, die von staatlichem Doping in China berichtete. In den Achtziger und Neunziger Jahren seien mehr als 10.000 chinesische Sportler mit Doping bei den Wettkämpfen gestartet, ließ die Chinesin über den deutschen TV-Sender ARD wissen.

Xue Yin Xian ist nach Deutschland geflüchtet, sie hat ein 15m² großes Flüchtlingsheimzimmer mit ihrem Sohn und seiner Lebensgefährtin zusammen bezogen, und versteckt sich vor der Öffentlichkeit versteckt.

Einst ohne Doping
Die Frau mit der Brille behauptet, sie kennt die ganze Dopinggeschichte Chinas. Sie war einst eine Sport-Musterstudentin, wurde nachher ohne ihr Wollen zur Olympischen Komitee versetzt. Das war 1962. 17 Jahre war sie schon dort, als, im Jahre 1979, der Chef der Olympischen Arztkomitee Cheng Zhang Zao Wind davon bekam, dass in Europa mit Dopingmitteln experimentiert wird.

Sofort flog er nach Frankreich, um dem Thema mehr auf den Grund zu gehen. Als er zurückkam - erzählt Xue Yin Xian - war es fast so, als ob er selber Doping genommen hatte. Fortan mussten alle, die älter als 10 waren, dopen. So ging es bis zum Ende der 90-er Jahre, berichtet Xue. Zuerst mit Testosteron, später mit einem spezifisch chinesischen Steroid-Mix, dem Dalibu, den man bei der Dopingkontrolle nicht nachweisen konnte

Tagebuch als Beweis
Als Beweis für ihre Worte liegen der chinesischen Ärztin ihre eigenen Tagebucheinträge auf, in diesen schrieb sie jeden Sportler, jedes eingenommene Medikament auf, und auch, dass sie in ihrem Wirkungsbereich Turnen, immer versucht hat, die Verabreichung der Dopingmittel zu verhindern. Sie wusste um die Wirkungen, kurz vor den Olympischen Spielen 1988 in Seoul kam ein Junge zu ihr, ein Bodenturner, ihm waren Brüste gewachsen. Mädchen von 9-10 Jahren wurde, unter dem Vorwand der Nahrungsergänzung, Dalibu eingegeben.

"Eigentlich müssten China alle Medaillen dieser Zeit aberkannt werden" Xue Yin Xian meint zwar die Achtziger und Neunziger Jahre, aber die erfolgreichste Ära des chinesischen Sports ist eindeutig mit der eigenen Olympia Peking 2008 gekommen, als China unglaubliche 51 Goldmedaillen holte.

Entlassen aber nicht arbeitslos
Da war aber Xue Yin Xian schon ihrer Aufgabe entbunden. Sie wurde, aufgrund ihrer Überzeugungen, immer mehr zum Außenseiter bei dem olympischen Komitee und wurde 1998 pensioniert.  Auch ihr Sohn, der als Arzt gearbeitet hat, wurde entlassen. Sie praktizierte, viele ihrer ehemaligen Sportler kamen zu ihr. Gedopt. Und sie machte wieder Aufzeichnungen in ihr Tagebuch, wie im Fall eines Turners:

"Kam am 12. Januar 1989 morgens. Hat im vergangenen Jahr Dalibu konsumiert. Gewicht stieg auf 57 Kilo. Hatte von August bis September 1986 Dalibu genommen, Gewicht von 51,5 auf 55 Kilo. Medizin kam von einem Krankenhaus in Peking. Körperkraft sei gut, Beweglichkeit schlecht. "Ich kann nicht mehr trainieren", sagt er".

Anonyme Anrufe nachts
Ihr Wissen wurde ihr zum Verhängnis. Nachts kamen anonyme Anrufe, zwei Schlaganfälle erlitt sie, nach dem ersten verlor sie kurz die Sprache. Ihr Mann erkrankte und musste am Gehirn operiert werden. Zwei Monate später, am 25. September 2007, standen acht Beamte vor der Wohnung und wollten nach Xues Gesundheit fragen.

Xue wollte sie nicht ins Haus lassen, es kam zu einer Rangelei, ihr Mann fiel zu Boden, er trug noch einen Verband von der OP. Die Familie sagt, ein Beamte hat ihn gestoßen. Ein unglücklicher Sturz, sagten die Beamten. Und noch etwas. "Wehe ihr erzählt was über dem Doping. Oder vom Sturz des Vaters". Zwei Monate später starb ihr Mann an den Folgen des Sturzes.

Die Flucht
Die Situation wurde immer enger für die Sportärztin. Als man sie in den chinesischen Krankenhäusern nicht behandeln wollte, obwohl sie Blut in ihrem Urin hatte, entschied sich ihr Sohn mit ihr das Land zu verlassen.

Sie leben jetzt in einem versteckten Flüchtlingsheim irgendwo in Deutschland. In ihrem zweiten Flüchtlingsheim seit ihrer Ankunft in Europa, denn im Ersten hat sie ein chinesischer Agent - aller Wahrscheinlichkeit nach - aufgespürt.

China schweigt
Eine offizielle Antwort auf die Vorwürfe seitens des chinesischen Sportministeriums gab es keine. Xue Yin Xian werden keine ruhigen Pensionsjahre beschieden, genauso, wie ihren Gegnern in China, die auch nicht schlafen werden können, solange die Sportärztin mit der Brille noch ihr Tagebuch schreiben kann.

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