Rock-Spektakel

Rammsteins “Völkerball”

Musik
11.12.2006 14:32
Der so genannte Intellektuelle nennt sie „Performance-Künstler“ oder „Provokateure“. Für andere ist Rammstein vielleicht einfach nur eine „geile Band“, die die Grenzen des Erträglichen mit jedem Song neu auslotet. Die Musiker um Frontblock Till Lindemann sind aber auch schon als „dumpfe Gitarrenwürger mit rechter Tendenz“ bezeichnet worden. Und man wird sie in den nächsten Jahren noch viele andere Dinge heißen. Auf ihrem neuen Live-Album „Völkerball“, das als CD/DVD-Paket erschienen ist, demonstrieren Rammstein, was sie wirklich ausmacht: ihre Live-Shows, die astrein gespieltes Konzert und höllisches Theater zugleich sind.
(Bild: kmm)

Wenn sich schon beim „Kommunisten-Artwork“-Cover von „Völkerball“ nichts regt, dann spätestens beim Rammsteinschen Bühnenbild. Eine Kulisse aus dreckigen Metallverhauen mit Nieten, Nägeln, Schrauben und finsteren Nischen - daneben stehen in verrostetes Blech gehüllte XXL-Gitarrenamps mit je einem bläulich züngelnden Flammenauge, die sich wie Zyklopen hinter den fünf stehenden Bandmitgliedern aufbauen. Hoch oben thront Drummer Christoph Schneider hinter seiner Pyrotechnik-Schießbude. Und schließlich ist da noch das Portal, durch das die Band ihr Reich betritt: ein fleischrosa Muttermund mit stählerner Einfassung.

Deswegen gibt’s Völkerball gar nicht erst „nur“ als CD, denn Rammstein live ohne die visuelle Komponente zu genießen ist, als würdest du im Kino den Ton abschalten und den ganzen Film nur mit Untertitel gucken. Ich würde mir Rammstein nie im Auto anhören und auf dem MP3-Player blieben „Mein Teil“ und Co. wahrscheinlich ungespielt –  auf Video (und live in Natura sowieso) sind Rammstein aber bahnbrechend und genau da schlagen sie die Brücke vom subkulturellen Industrial Metal zur Popkultur. Sie haben neben ihren hartgesottenen Anhängern auch Fans, die keine Ahnung von der Heavy-Szene haben, und vor der letzten Rammstein-CD Gwen Stefani und danach Oasis kauften.

„Völkerball“ besteht im Wesentlichen aus einem Stadionkonzert-mitschnitt von Rammsteins Live-Show im französischen Nîmes, der 19 Tracks umfasst. Weiters sind Ausschnitte der Show in der Londoner Brixton-Hall und von einem Indoor-Konzert in Japan mit drauf. Bereits in der Standardversion liegt dem DVD-Paket noch eine 16 Tracks umfassende Audio-CD bei. Wer noch ein paar Euro mehr für die Special-Edition ablegt, bekommt eine DVD mit 75-minütiger Tour-Doku dazu. Für die Limited-Edition – Stichwort: Anhänger, nicht Fans – haben Rammstein noch zusätzlich ein 160-seitiges Fotobuch in petto.

Der Sound wurde digital und mit viel Computertüftelei auf Höchstniveau getrimmt, was man bei anderen Bands vielleicht illegitime Trickserei nennen könnte – wenn Rammstein mit scheppernden E-Gitarren und einem Schuhschachtel-Sound nach dem Motto „Wir wollten die Aufnahmen nicht verfälschen“ antreten würden, wäre das aber peinlich. Somit passt der pompöse Druck vom Bass, die satten Gitarren-Sounds und der direkte Punch der Drums wie die Faust auf’s Aug.

Die Show in Frankreich ist eine Augen- und Sinnesweide und bietet jede Menge Stoff über den man so oder auch anders denken kann. Vom ersten Spucken der Flammenwerfer über Till Lindemans feurig-kannibalische Metzger-Einlage (er grillt Keyboarder Flake Lorenz mit einem Feuerspucker in einem überdimensionalen Zaubertrank-Kessel) bei „Mein Teil“ bis hin zum pathetischen Klagelied-Gesang bei „Sonne“. Rammsteins Lieder sind – wenn es sich dabei um jene, der nachdenklichen Sorte handelt – verfänglich und das bringt Spannung.

Das unbewusst mit Einschlag konnotierte rollende R, die dauernden Doppeldeutigkeiten von gewalttätigen Phantasien bis zum sexuellen Tabu – es hat etwas Verbotenes, das nicht Wenige mit ihren Prinzipien nicht vereinbaren können; selbst wenn es nach nur einem Lidschlag doch wieder ganz offensichtlich ist. Denn am Ende ist klar, wie es gemeint ist - und das haben Rammstein selbst oft genug betont, wenn ihnen wieder einmal ein Zeigefinger zu Leibe rücken wollte. Oder beruhige ich da jetzt nur mein Gewissen…?

9 von 10 höllisch guten Live-Shows mit Unbehagen-Bonus


Christoph Andert

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