Expertin analysiert:

Immer mehr Kritik an NGOs wegen Flüchtlingsrettung

Ausland
16.07.2017 09:30

Sie waren Idealisten, die sich für die Umwelt, die Menschenrechte, den Frieden auf der Welt einsetzten. Ihre große Zeit waren die 1970er- und 1980er-Jahre, als es in Nordamerika und Westeuropa - vom Kalten Krieg einmal abgesehen - kaum Probleme gab. Universitäten wie weltoffene Pfarren befassten sich mit dem Elend jenseits ihrer heilen Welt. Die Autorin dieser Zeilen gehörte dazu. Durch die Flüchtlingsrettung im Mittelmeer sind die NGOs aber nun zusehends in den Mittelpunkt der Kritik geraten.

Um nicht ohnmächtig dem Elend der politisch Verfolgten aus der Ferne zuzusehen, wirkten wir in kleinen Gruppen für Amnesty International, schrieben Briefe an die Diktatoren jener Zeit. Die Umweltaktivisten stürmten einst Walfänger und kletterten auf Atomkraftwerke. Ärzte und Entwicklungshelfer, die bei der Geldverschwendung der UNO nicht mehr mitmachen wollten, gründeten kleine Vereine ohne Bürokratie. Auf offener See wurden die Bootsflüchtlinge aus Vietnam 1979 gerettet. Es herrschte eine Aufbruchsstimmung, die jenen neuen Bewegungen eigen war. Unzufrieden mit den mächtigen internationalen Organisationen und der staatlichen Politik, die sich den jeweils nationalen Interessen beugte, entstanden die Nichtregierungsorganisationen, besser bekannt unter der englischen Abkürzung NGOs. Sie sollten sich aus Spenden und dank des persönlichen Einsatzes ihrer Mitglieder finanzieren.

Indes hat sich das Blatt gewendet. Einstiegsgehälter in NGOs sind teils höher als in der Privatwirtschaft. NGOs treiben Regierungen vor sich her, wie dies in der Migrationskrise 2015 sichtbar wurde, geben über ihre Kommunikationsberater den Redaktionen die Themen vor und halten sich oftmals nicht an Regeln. Die Rolle so mancher NGO in den Mittelmeer-Rettungsmanövern, die nicht auf hoher See, sondern im Küstengewässer Libyens erfolgen, steht auf dem Prüfstand. Hier kulminiert derzeit auch die politische Debatte. Ergebnis ist ein Verhaltenskodex, den Italien vor zehn Tagen den EU-Innenministern vorgelegt hat. Das Papier umfasst elf Punkte. NGOs, die den Kodex nicht unterzeichnen oder gegen ihn verstoßen, kann demnach die Einfahrt in italienische Häfen verweigert werden.

So sollen NGOs künftig Flüchtlinge an Land bringen
Zu den Forderungen gehören die Offenlegung der Finanzierung sowie das Ende der Kontakte zu Schleppern. Außer in Notsituationen dürfen keine geretteten Flüchtlinge an andere Boote übergeben werden. Die Hilfsorganisationen werden verpflichtet, die Geretteten selbst in den nächsten "sicheren Hafen" zu bringen und nicht an Schiffe der italienischen Küstenwache oder von internationalen Einsätzen abzugeben. Zudem müssen für Ermittlungen alle Informationen an die italienische Polizei übergeben werden. Der Kodex ist ein Entwurf, den die 28 EU-Innenminister nun umsetzen müssen. Italien wird wohl bei Uneinigkeit in der EU gegen NGO-Aktivisten hart vorgehen.

Aus engagierten Idealisten wurden Profiteure
Es erging den Gründern der NGOs nicht viel anders als jenen, die einst große politische Träume in Parteien umgestalteten. Aus engagierten Idealisten wurden Profiteure, die von ihrer NGO-Arbeit gut leben, vor allem ein nettes Image genießen. Aus der Sehnsucht, die Welt zu verbessern, wurde für so manchen eine ideale Zwischenstation im Lebenslauf. Denn zwischen einem Posten in einer Bank und danach einer PR-Agentur sind einige Monate bei einer NGO zum Bestandteil akribischer Karriereplanung geworden.

Der Biologe Thomas Kukovec, der selbst einige Jahre für Greenpeace aktiv war, beschreibt die Lage so: "Während NGOs früher noch idealistische Menschenrechts- oder Umweltschutzvereine waren, sind sie zu Spendenkonzernimperien herangewachsen, die ihre Mitarbeiter längst nicht mehr aus den Reihen Ehrenamtlicher rekrutieren, sondern Headhunting-Agenturen beauftragen, um in Eliteuniversitäten auf talent scouting zu gehen." Dass es dann auch zu Spekulationen mit Fremdwährung kommt, wie bei Greenpeace vor drei Jahren, ist offenbar die Folge der neuen Rekrutierung. Man mag dies Professionalisierung nennen oder schlicht Entfremdung von den einstigen Zielen, als es noch um die Sache ging, wie die Rettung der Meere oder die Befreiung politischer Gefangener.

Video: Europa steuert jetzt auf neue Flüchtlingskrise zu

So manche NGO, vor allem im Bereich Umwelt und Menschenrechte, galt von diplomatischer Warte aus betrachtet lange als anarchisch. Die Autorin erlebte dies, als sie vor 30 Jahren Menschenrechtsberichte ins Außenministerium mitbrachte. Heute sind die NGO-Dokumente Teil ministerieller Beratungen. Dies ist auch zu befürworten, da mehr Wissen bei Entscheidungen hilft. Zu hinterfragen ist, wer welche Interessen mit welchen Mitteln verfolgt. NGOs sind nicht immer transparent.

Die UNO-Weltkonferenz für Menschenrechte 1993 in Wien war ein Wendepunkt. Die NGO-Vertreter tagten zwar in gesonderten Konferenzräumen, aber es kam vermehrt zu Kooperationen, unter anderem bei der Finanzierung der Vereine, die sich zuvor von den Staatenvertretern distanzierten und bewusst anders sein wollten. So sitzen heute NGO-Vertreter gleichberechtigt in so mancher Staatenkonferenz, wurden zu Konkurrenten der Diplomatie. Aus der einstigen Ablehnung wurde eine Kooperation, vor allem in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe.

"Krise der humanitären Hilfe"
Doch die "Krisenhelfer sind in der Krise", wie die "NZZ" neulich titelte. Denn die Helfer sind kaum mehr bereit, sich auf dem umkämpften Spendenmarkt abzustimmen. So werden medienwirksame Eigenprojekte der Kooperation vorgezogen. "Das Kernproblem der humanitären Hilfe ist, dass die Notleidenden nicht mehr in deren Zentrum stehen", so die Ökonomin Heba Aly. Die erfahrenen Helfer werden im Gegensatz zu den selbst ernannten Weltrettern selbstkritischer.

Peter Maurer, der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, spricht offen von einer "Krise der humanitären Hilfe", an der Hilfswerke mitschuldig seien. In Erinnerung sind die Erfahrungen mit dem Durchfüttern der Täter des Genozids in Ruanda 1994, die dann den Völkermord im Kongo auslösten. Genau dieses Dilemma humanitärer Hilfe hinterfragte das Rote Kreuz bereits vor 20 Jahren.

Viele NGOs haben ihre Unschuld schon lange verloren. Sie sind zu normalen politischen Akteuren geworden, die teils von mächtigen Milliardären finanziert werden, oder von Religionsgemeinschaften, sei es der wahabitische Islam oder so manche christliche Freikirche. Oft vertreten sie schlicht die Interessen einer Regierung, die ihre politische Agenda über eine NGO als "Privatsektor der UN" vorantreiben kann. China, reiche Golfstaaten und die Türkei haben von den USA und der EU gelernt, wie man über "soft power" Politik betreibt. Im lukrativen Sektor der Mitleidsindustrie bleiben aber die eigentlichen Adressaten, ob nun Menschen, die Meere oder die Tiere, auf der Strecke.

Dr. Karin Kneissl, Kronen Zeitung

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