"Krone"-Interview

Angel Olsen: Auf der Suche nach Perfektionismus

Musik
06.06.2017 15:25

Die amerikanische Vollblutmusikerin Angel Olsen lässt sich schon lange nicht mehr in die Folk-Nische einordnen und strampelte sich mit dem aktuellen Album "My Woman" endgültig von allen Klischees frei. Bevor sie ganz Barcelona am Primavera Festival verzauberte, überzeugte die selbstbewusste Powerfrau im Wiener WUK mit ihrer musikalischen Kunst, die zwischen Pop, Folk, Indie und Grunge changiert. Vor ihrem Gig trafen wir sie an einem schweißtreibenden Frühsommertag auf den Bierbänken vor der Location, um mit ihr über ihre außergewöhnliche Karriere, das Muppet-Baby Neil Young und die Unsicherheit des künstlerischen Interpreten zu sprechen.

(Bild: kmm)

"Krone": Angel, mit den Kritiken deines vorletzten Albums "Burn Your Fire For No Witness" warst du rückblickend nicht wirklich zufrieden. Du fühltest dich inhaltlich von einigen Journalisten missverstanden.
Angel Olsen: Mit meiner Band spielte ich damals schon lange zusammen und ich hatte für dieses Album das erste Mal die Folk-Pfade verlassen. Manche waren davon wohl verschreckt und der ganze Aufnahmeprozess war sehr intensiv. Meine Angst war, dass die Leute glauben würden, dass das nicht mehr ich wäre. Künstler ändern sich und wollen sich entwickeln. Ich habe das Piano und die Keyboards entdeckt, aber deshalb bin ich kein anderer Mensch geworden. "Burn Your Fire For No Witness" war das erste Album, auf dem ich elektrische Gitarren benutzte. Die Leute konnten mich nicht mehr kategorisieren. War ich Folk oder Country? War ich elektronisch oder war es Grunge? Bis dahin war mein Backkatalog doch sehr ähnlich. Ich habe mich damals in viele Reviews gestürzt, damit aber wieder aufgehört. Selbst wenn ich mich von Angesicht zu Angesicht mit Leuten unterhalte, missverstehen sie oft meine Inhalte. Das kann eine Sprachbarriere oder auch eine vorgefertigte Idee sein, die keinen Platz mehr für Einflüsse lässt. So viele Menschen schreiben ihre Artikel schon, bevor du ihnen den ersten Satz im Interview sagst. "My Woman", mein aktuelles Album, hatte mit Justin Raisen wieder einen namhaften Produzenten, aber ich unterstützte ihn dabei, machte den Mix und so geriet das Album einfach mehr zu meinem eigenen Baby.

John Congleton war für "Burn…" mein erster professioneller Produzent, der sich auch inhaltlich einbaute und die Songs ohne meine Anwesenheit veränderte. Das war damals sehr cool und spannend, weil ich niemals zuvor diesen Bandsound machte. Doch obwohl ich ihn sehr mag realisierte ich nach dem Album, dass ich keinen Grammy-geadelten Produzenten brauche, um meinen eigenen Sound zu finden. Neben ihm kann man nicht glänzen und das realisierte ich. Justin war jemand, der mehr auf die Kunst einging und uns als Band besser verstand. Wir brauchten jemanden, der uns zum Lachen und Licht in den Raum brachte. Wir wussten, dass die Songs gut klingen, aber die Zusammenarbeit sollte magischer sein. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als die Deadline nahe rückte und ich gerade in Portugal war. Es sah so aus, als ob wir das Releasedatum 2016 nicht mehr halten hätten können. Ich habe alles dafür getan, nicht die Geduld zu verlieren und musste dann ein paar Zügel schleifen lassen, die ich als Mitproduzentin zu fest anzog. Nur so konnte das Album fertig werden. Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht im gleichen Raum mit Justin und das war ein Albtraum für mich, da ich mich zu fest an das Album klammerte und die Situation nicht am Telefon lösen wollte. Es war ziemlich frustrierend, aber ein wichtiger Lernprozess. Ich wusste dann auch, was Congleton vorher alles mitmachen musste, weil das Label dermaßen drückte und sich nicht sicher war, welche Art von Musik ich da jetzt liefern würde.

Aber das ist doch das größte Kompliment, das man einem kreativen Künstler machen kann – dass das Label und die halbe Welt nicht genau weiß, was sie vorgeworfen kriegen.
(lacht) Das stimmt schon. Ich habe entschieden, dass es mir egal ist, wofür mich die Leute halten. Wenn sie mich für Country halten oder Grunge oder Folk – alles okay für mich. Ich habe das nicht zu entscheiden. Ich habe gelernt, dass mein Ansatz der Poetik niemals zu 100 Prozent beim Publikum ankommen wird. Ich bin professionell und suche nach Perfektionismus, das ist meine Aufgabe. Aber niemand kann in meinen Kopf eindringen und das musste mir erst klar werden. Wie die Leute meine Musik sehen ändert nichts daran, dass sie wichtig für mich ist.

Ist es aber nicht enttäuschend, wenn das Publikum gewisse Texte und Botschaften völlig missinterpretiert?
Ich hatte in Berlin ein Interview mit einem deutschen Journalisten und im Song "Shut Up Kiss Me" verstand er die Songzeile "Shut up kiss me you retard" – so was verärgert mich maßlos, weil ich es niemals singen würde - außerdem kriegt jeder Journalist vor den Interviews meine Texte. Ich finde das wichtig, um sich gut vorbereiten zu können. In diesem Job muss mir doch wichtig sein, den Kontext des Ganzen zu sehen und nicht nur ins Blaue zu raten. Ich war einfach enttäuscht darüber, dass mir jemand so eine Zeile zutraute. Wenn aber jemand einen Song nicht mag und dann das Konzert verlässt oder das Album nicht mag, dann ist das okay. Ich habe selbst mit 15, 16 Alben Scheiße gefunden, die ich heute bewundere. Ich brauchte eine halbe Ewigkeit, um Neil Young zu verstehen, weil seine Stimme für mich immer nach einem Muppet-Baby klang. (lacht) Heute ist das aber anders, weil ich wohl realisierte, dass er ein Genie ist. Es geht nicht immer nur um die Stimme, sondern um den Gesamtprozess.

Wie wichtig ist Freundschaft zwischen einzelnen Bandmitgliedern und dem Produzententeam, um den Kreativprozess zu erleichtern oder beschleunigen?
Sehr wichtig. Ich will nicht, dass mir ein Fremder sagt, wie ich meine Arbeit zu machen habe. Es muss immer ein gutes Verständnis- und Vertrauenslevel herrschen, damit sie mir auch Experimente erlauben. (lacht) Ich habe früher in professionellen Bands gespielt, die komplett von meinem echten Leben abgetrennt waren. Das bringt dir Geld und du bist wie ein Angestellter. Es hat Vor- und Nachteile. Aber im Endeffekt kann nichts eine Band unter Freunden mit ähnlichen Visionen ersetzen. Du spürst einfach, dass gewisse Menschen deiner Arbeit mehr Wert verschaffen, sie ungemein bereichern. Auch wenn es am Ende meine Musik ist, können sie den Song wertvoller machen. Mir ist das ungemein wichtig und ich hoffe, dass nicht nur die Bandmitglieder das ähnlich sehen, sondern es auch die Hörer während der Live-Performance mitkriegen. Jeder hat seinen Weg damit umzugehen, aber ich fühle mich wohler, wenn wir uns auch persönlich nahe stehen.

Würdest du sagen, dass du Musik für Erwachsene kreierst? Dass man ein gewisses Alter und eine gewisse Reife haben muss, um deine Songs zu verstehen?
Ich habe auf jedem Album eine Handvoll Pop-Songs, die nicht so poetisch, aber etwas allgemeintauglicher sind. Selbst jetzt, wo ich meine Musik gerne intellektualisiere und sehr lange Songs schreibe, bin ich noch ein Fan dieses Pop-Schemas. Ich mag es auch, auf der Bühne Spaß zu haben und blöd herumzutanzen. Ich habe Songs für jüngere und ältere Leute und bei mir finden sich irgendwie alle Generationen ein.

Ich finde es interessant, dass du auf "My Woman" die erste Albumhälfte mit kurzen, fröhlichen Songs bestückt hast, die zweite dann mit den längeren, schwermütigen.
Das wäre nicht anders gegangen. Ich hatte noch drei weitere Songs, die überhaupt nicht mehr raufpassten. Wir wollten auch keine Doppel-LP machen, so werden diese Songs woanders zu hören sein, was noch in diesem Jahr passieren wird. Ich hätte "Shut Up Kiss Me" niemals neben "Sister" stellen können, also musste ich mir das gut überlegen. Es kommt bei einem Album auch auf das richtige Timing an. Auf einem Vinyl muss alles richtig geordnet sein, sonst opferst du dein Material. Die erste Seite ist einfach eine große Party und dann stirbt die Party halt und alle gehen nach Hause. So war das gedacht. Ich musste auch darauf achten, nicht wie die Millenials in Playlists zu denken, wo es nur um die einzelnen Songs geht. Ich wollte einfach eine fröhliche Atmosphäre aufbauen und am Ende den harten Scheiß liefern. Es ist aber nicht so, dass ich immer einen Plan habe, das tut kein Künstler. Wenn du ein Album nur nach System schreibst, bist du dumm. Jeder Song hat sein eigenes Leben, aber zusammen ergeben sie immer noch eine Botschaft, die der Hörer herausfinden kann.

Ein gutes Album muss nicht immer aus Frage und Antwort bestehen. Vielleicht brauchen das Klassik- oder Ambient-Musiker, aber ich sicher nicht. Der letzte Song, "Pops", ist so roh wie ein Demo – wie zum Beispiel "Enemy" auf der "Burn Your Fire…". Diesen Song kann ich auch nicht mehr live spielen, vielleicht irgendwann solo in leiser Ausführung, aber es gibt Songs, die sind für ein Album gemacht und können nicht einfach so rausgezogen werden. So geht es auch anderen Musikern, das ist ein wichtiger Teil des musikalischen Lebens. Bis auf "Pops" werden wir wohl alles von "My Woman" live spielen. Seit "Burn Your Fire…" ist viel passiert, ich kann die zwei Alben gar nicht vergleichen. Der kleinste gemeinsame Nenner beider Alben ist, dass die ruhigen, reflektierten Songs überall zu hören sind. "Sister" ist für mich jetzt die glückliche Version von "White Fire". "Shut Up Kiss Me" ähnelt "High & Wild". Diese Songs sind miteinander verbunden und wenn ich zurückblicke, dann sehe ich meine vier oder fünf verschiedenen Songwritingstile. Alles dreht und verändert sich und ich habe keine Ahnung, was als nächstes passiert. Wird es ähnlich wie jetzt? Wird es total beschissen? Wird es langsamer oder schneller? (lacht) Ich habe keine Ahnung und das ist gut so.

Weil du die Millenials kurz angesprochen hast – fühlst du dich verantwortlich dafür, in einer Zeit der Singles und Song-Snippets für zusammenhängende, komplette Alben zu sorgen?
Ich denke nicht so, ich kann mich nicht in diese Leute reinversetzen. Wenn du Musikliebhaber bist, dann hast du auch ein gewisses Maß an Integrität für den Künstler übrig und gibst jedem seiner Songs eine Chance. So sehe ich das.

Bist du jemand, der trotz seiner Liebe zu Alben und gesamten Werken immer auch offensiv nach der großen Melodie sucht? Dem Pop-Moment, der aus dem Gesamtbild heraussticht?
Ich suche immer nach Dingen, die mich überraschen. Das hat nicht zwingend mit Bombast oder Nachahmung eines großen Songs zu tun. Wenn ich etwas schreibe, dann muss die Melodie in meinem Kopf hängen und mich berühren. Dann schreibe ich den Song auch sehr leicht und schnell fertig. Manchmal entsteht daraus auch ein eingängiger Song wie "Shut Up Kiss Me". Ich kann dir gar nicht sagen, was mich in diese Richtung inspiriert, aber ich arbeite wohl nach einer klassischen Songwritingformel. Selbst eine Struktur, die schon jeder kennt, kann mich selbst überraschen, wenn ein neuer Twist darin ist.

Die Videos zu den Songs auf "My Woman" sind sehr witzig gehalten und du hast öfters betont, dass du bewusst etwas machen wolltest, wo du auch mal herumalbern kannst. Das Album an sich ist trotzdem oft sehr schwer. Brauchst du dieses Wechselspiel zwischen glücklich und melancholisch?
Ich weiß nicht, ob es nötig ist, aber ich mag das so. Die Leute sollten Spaß haben, aber es muss auch Platz für reflektierende Momente geben. Bei den Videos wollte ich diejenige sein, die ihr eigenes Bild kreiert und niemand anderen erlaubt, daran herumzuschrauben. Wenn ich so viel Arbeit in die Musik stecke, warum sollte dann jemand mein Video so schneiden, dass es mich enttäuscht? Für mich war immer klar, dass ich über alles die Oberhand besitze.

Was ist die Essenz deiner Musik?
Das Schreiben hat immer Hauptpriorität. Die ganze Melodie kann so gut wie nie sein, wenn der Text nicht passt, ist der ganze Song nichts wert. Ich versuche aber immer öfter, nichts zu überdenken und nicht alles zu intellektualisieren. Ich brauche meine Pausen und Auszeiten, weil mich das wieder vorwärts bringt. Als Künstlerin ist es mir wichtig, neben dem Gesang und der Stimme niemals die Wichtigkeit des Schreibprozesses zu unterschätzen. Es ist schwierig, die richtige Balance zu finden. Manchmal kann man jahrelang nichts schreiben, weil einem nichts einfällt – wir kennen das von vielen Künstlern. (lacht)

Fühlst du dich mit deinen fragilen Songs auf großen Festivalbühnen wie dem Primavera oder Glastonbury überhaupt wohl?
Glastonbury wird meine Premiere, da bin ich gespannt. Ich habe eine sehr solide Crew und bin sehr aufgeregt, mit "My Woman" diese großen Bühnen zu entern. Der Song "Sister" dauert ungefähr acht Minuten und gerade auf Festivals wird das eine besondere Erfahrung werden. Er startet sehr langsam, die Leute sind im Partymodus, müssen sich aber erst einmal konzentrieren. Doch dann plötzlich bricht die Nummer aus, wenn alle glauben, dass es schon wieder vorbei wäre. Songs wie diese entfachen erst live ihre volle Wirkung, weil sie ungemein physisch sind. Solche Songs könnte ich nicht solo machen, dafür brauche ich eine Band und Freunde um mich herum. Ein Festival ist immer sehr gestresst, aber gerade bei diesen Herausforderungen lernst du deine Stärken und Schwächen so richtig kennen. Diese Erfahrungen sind für die Zukunft ungemein wichtig.

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