Neues von Franzobel:

Das Floß der Medusa wirft Anker im Leser

Oberösterreich
15.04.2017 09:15

Wow, was für ein Buch! Franzobel, Sprachspieler aus Vöcklabruck und gerade 50 geworden, legt ein barockes Alterswerk vor: "Das Floß der Medusa," ein historischer Roman über den Untergang der gleichnamigen Fregatte und die grässlichen Geschehnisse bei der Nicht-Rettung von 147 ehemaligen Schiffsreisenden auf einem Floß.

Schon der Klappentext legt nahe,Teile des Buches auch als Parabel zu lesen, hinsichtlich menschlichen (Fehl-)Verhaltens in Extremsituationen, wo das Edle schwindet und das Grässliche grassiert - bis hin zur Menschenfresserei.
Es genügt aber auch, das Buch schlicht als wirklich spannenden "Roman nach einer wahren Begebenheit" zu lesen. Die ersten 255 von düsteren Vorahnungen durchzogenen Seiten bis zur Schiffskatastrophe als Panoptikum des brutalen und kulinarisch kargen Alltags auf einer Fregatte vor 200 Jahren, mit 400 Menschen eng auf eng an Bord. Bis zum schier unausweichlichen Auflaufen auf eine Sandbank vor Westafrika, weit draußen im Ozean.
Unvergessliche Figuren kann Franzobel als Lotsen durch seine Geschichte aufbieten.

Pralle Sprachbilder

Und die Sprache! Nein, nicht der Seemannsslang mit all seinen rätselhaften Fachbegriffen. Sondern Franzobels pralle Sprachbilder, die eine Freude sind. Da kriechen die Blicke der Matrosen auf ein Mädchen "wie Wespen in Blütenkelche", am Wind ist die Medusa "eine Dame, die ihre Röcke anhob und rannte", und die Saharawinde schlagen die (trotzdem glücklicheren) Leute in den Rettungsbooten "wie ein das Badetuch schwenkender, sadistisch veranlagter Saunameister". Dutzende weitere Beispiele lassen sich finden.
Nur 15 von 147 Menschen überleben die zwei Wochen auf dem Floß der Medusa. Was Franzobel darüber zu erzählen weiß, teils als allwissender Erzähler, teils aus der Perspektive seiner Figuren, vergisst der Leser auch in heutigen Terrorzeiten nicht so rasch.

Werner Pöchinger, Kronen Zeitung

Franzobel, "Das Floß der Medusa": Zsolnay Verlag, 590 Seiten, 26,80 Euro

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