"Krone"-Interview

John Coffey: Ein Ende mit Knalleffekt

Musik
04.10.2016 10:51

Justament jetzt, wo die holländische Hardcore/Punk-Combo John Coffey den Ernst des Lebens für sich entdeckt hat, löst sich die Band bis auf Weiteres auf. Mit der EP "A House For Thee" ist ein herzhaftes Manifest über die derzeitige Flüchtlingspolitik und die politischen Schwingungen in Europa. Wir unterhielten uns mit Drummer Carsten Brunsveld im Wiener Chelsea vor ihrem letzten Österreich-Auftritt über das neu erweckte politische Interesse, die Gründe zum Bandende und warum ein 26-Sekunden-Video über einen Bierwurf die Karriere stärker förderte, als 13 Jahre auf den Brettern dieser Welt.

(Bild: kmm)

Wir schreiben den 12. Juni 2015. Die Stimmung im Zelt des holländischen PinkPop-Festivals ist am Kochen. John Coffey, die Utrechter Hardcore-Punk-Aushängeschilder mit starkem Refused-Einschlag haben hier Heimspiel und wissen diesen auch zu nutzen. Sänger David Achter de Molen macht, was er bei Livegigs immer macht: er kraxelt über die Bühnenabsperrung hinweg in die Zuschauermassen, lässt sich in die Höhe heben und verrichtet sein Werk. Doch an diesem Tag ist alles anders. Plötzlich fliegt ihm ein voller Bierbecher entgegen. Geschickt wie ein Artist fängt er ihn mit einer Hand herunter, trinkt das Bier aus und wirft ihn mit einer beneidenswerten Lässigkeit zurück in die Menge. Dieses Video verbreitet sich im Netz wie ein Lauffeuer und der "Beer Throw" macht die Band innerhalb weniger Tage bekannter als 13 Jahre Karriere davor.

Für die Bühne geboren
"Es ist einfach passiert, wir haben lange darüber gelacht und wundern uns selbst wohl am meisten darüber, dass das jemand überhaupt so exakt filmte", erzählt uns der schlagfertige Drummer Carsten Brunsveld im Interview, "es war eine coole Aktion, die aber keine Gefühlsregung in mir hoch ruft. Uns ist das egal und ich bin eher überrascht davon, welcher Selbstläufer dieses Video wurde." John Coffey ausschließlich mit dieser Szene zu verbinden, würde der Band nicht gerecht werden. Nach dem Underground-DIY-Prinzip haben sich die Holländer 2002 zusammengefunden, um mit einer krachenden Mischung aus europäischem Hardcore und der vor allem für Liveshows relevanten Punk-Attitüde einen musikalischen Bastard zu kreieren, der für die Bühne geboren war. Zeit ihres Lebens war die Bühne das Zuhause für die Mittdreißiger, erst in den letzten sechs, sieben Jahre forcierten sie auch das Aufnehmen.

Mit dem 2015er-Album "The Great News" gelang dem Quintett schlussendlich der Durchbruch außerhalb der Landesgrenzen. Die Headliner-Shows nahmen ebenso zu wie die Menge an Fans vor den Bühnenrändern, das Merchandise verkaufte sich respektabel und die Band entwickelte sich bei ihren Reisegewohnheiten vom klapprigen Van zum gediegenen Nightliner. Doch so rapide die Karriere in den letzten Jahren auch zunahm, so rapide kam für die Fans auch die überraschende Nachricht vom Ende. Bereits zu Jahresbeginn hätte man sich dazu entschlossen, dieses Lebenskapitel zu schließen, erzählt Brunsveld, im Frühling machte man es per Social Media publik und am 30. September wurde in der heimischen Hauptstadt Amsterdam das definitiv letzte Konzert gespielt.

Entscheidung zum Ende
"Es gibt keinen bestimmten Grund für diese Entscheidung", betont der Drummer, "die Leute haben für diese Band ihr ganzes Leben geopfert und wir sind an einem Punkt angelangt, wo sich jeder anderen Dingen widmen möchte. Es hat bei der ersten Besprechung jeder sofort zugestimmt, es gab keine harten Diskussionen und wir waren auf einer Wellenlänge." Über den plötzlichen "Underground-Hype", der über die Band in den letzten zwei Jahren hereinbrach, hat Brunsveld seine eigene Meinung: "Das wirkt vielleicht so nach außen hin, aber die Leute vergessen, was für eine enorme Arbeit und welcher enormer Zeitaufwand dahintersteckte, so weit gekommen zu sein. Wir haben nie die Kontrolle über die Band verloren, alle Entscheidungen selbst getroffen und können uns jetzt mit Würde verabschieden."

Zu einem "Scorpions-Abschied", also das Ende propagieren und dann doch nie abtreten, soll es bei John Coffey nicht kommen. "Wer weiß? Vielleicht kommen wir in sechs Monaten drauf, dass wir uns und die Bühne so sehr vermissen, dass wir wieder loslegen. Aber wir ziehen jetzt zumindest einen Schlussstrich unter die Band und werden keine einzelnen, besonderen Abschiedskonzerte mehr spielen. Am 30. September war das Finale und das passt so. Sollten wir uns wieder zusammenfinden, dann passiert das auch mit einem weiterführenden Gedanken." Also doch eine Lücke freigelassen… "Ich muss aber zugeben, dass wir bei den letzten Konzerten einen stechenden Schmerz im Bauch verspürten. Es schwang eben immer das Gefühl der Endlichkeit mit, jede Stadt, jeder Ort, jede Location wurde das letzte Mal besucht. Wir würden lügen, würden wir sagen, das geht uns nicht nahe."

Politischer Frühling
Als Abschiedsgeschenk bedachten John Coffey ihre Fans aber mit keinem neuen Studioalbum, sondern mit der EP "A House For Thee", auf der sie ganz neue Töne anklingen ließen. Anstatt wie üblich über die Partyseiten des Lebens zu referieren, nahmen sich die Holländer der Flüchtlingsproblematik an und überraschten mit klaren politischen Statements. "Wir haben oft in England gespielt und dabei den Seeweg dorthin genommen. Dort bist du direkt mit der Sache konfrontiert. Den Ausschlag für die EP gaben schlussendlich die vielen Rechtspolitiker, die in Europa auf dem Vormarsch sind und Menschlichkeit untergraben. Hauptsache verhindern, Hauptsache nicht helfen und nur die eigenen Pfründe verteidigen."

Die politische Gegenwart ist allgemein ein Thema, dass die gereiften Musiker verstärkt beschäftigt. "Ich kann verstehen, dass die Menschen EU-skeptisch sind. Krumme Gurken oder Glühbirnen zu diskutieren ist im Parlament kurzsichtig, in Europa haben wir andere Probleme. Am Wichtigsten wäre aber, sich gegenseitig zuzuhören. Jeder einzelne europäische Staat ist weltpolitisch einfach zu klein für Alleingänge, eine Zusammenarbeit ist essenziell. Allerdings ist es fatal, die nationalen Interessen von oben herab zu befehligen. Wir haben viele Menschen einfach zu lange ignoriert und sie mit ihren Problemen alleine gelassen, anstatt mit ihnen gemeinsam Lösungen zu suchen. Deshalb kann ich sie auch verstehen, wenn sie eine Religion suchen, um dort ihre Identität zu finden. Wer kümmert sich denn sonst um sie?" Ein Themenbereich, der auch musikalisch noch viele Optionen bietet. Vielleicht in absehbarer Zeit ja doch mit reformierten John Coffey…

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