Sechs Monate Haft

Empörung um milde Strafe für US-Eliteuni-Sextäter

Ausland
08.06.2016 11:27

Ein Fall von sexueller Gewalt auf dem Campus der Eliteuniversität Stanford und der Prozess, der mit einer milden Strafe für den Täter endete, sorgt in den USA seit Tagen für Aufregung. Der Ex-Schwimmsportler Brock Turner soll eine Studienkollegin vergewaltigt haben und bekam dafür sechs Monate Haft, von denen er vermutlich gerade einmal die Hälfte absitzen wird. Das Opfer wandte sich nun mit einem ergreifenden Brief an die Öffentlichkeit.

Als CNN-Journalistin Ashleigh Banfield die lange Erklärung der 23-jährigen Frau in ihrer Sendung "Legal View" vorlas, war sie sichtlich darum bemüht, die Fassung zu bewahren. Der zwölfseitige Brief an den Täter beginnt mit den Worten: "Du kennst mich nicht, aber du warst in mir, und deshalb sind wir heute hier." Das Opfer selbst hatte das Schreiben vergangene Woche vor einem Gericht in der kalifornischen Stadt Santa Clara vorgelesen. Darin beschreibt die junge Frau ihre körperlichen und seelischen Wunden, die Demütigung beim Kreuzverhör durch Anwälte, ihre Ängste und Zusammenbrüche.

Alles hatte mit einer Verbindungsparty an der Eliteuni im Jänner des Vorjahres begonnen. Das Opfer und Turner hatten einander dort kennengelernt. Sie hatten beide Alkohol getrunken, die junge Frau sagte später, sie habe sich an nichts mehr erinnern können, als sie auf einer Trage in einem Krankenhaus aufwachte. Man habe ihr gesagt, sie sei bewusstlos und halb nackt hinter Mülltonnen auf dem Campus gefunden worden.

Sechs Monate Haft für weißen Elite-Studenten
Zwei Studenten hatten jedoch die nächtliche Sexattacke beobachtet und die Polizei alarmiert. Turner gab später an, die Frau habe in den Sex eingewilligt. Im März sprachen ihn zwölf Geschworene wegen sexuellen Missbrauchs einer bewusstlosen Frau schuldig. Das umstrittene Strafmaß wurde jedoch erst am 2. Juni von Richter Aaron Persky verkündet: sechs Monate Haft für den ehemaligen Stanford-Studenten und Schwimmsportler, der vor der Tat noch als Olympia-Hoffnung galt.

Persky argumentierte, das sei Strafe genug. Er war früher selbst ein Star-Athlet an der Eliteuni in Palo Alto gewesen. Die Anklage hatte in dem Prozess mindestens sechs Jahre Gefängnis gefordert. Die Bestrafung werde der "tatsächlichen Schwere" des Delikts nicht gerecht, empörte sich Staatsanwalt Jeff Rosen. Der Täter habe weder Reue gezeigt noch die Wahrheit gesagt. Auf Twitter meinte ein User treffend: "Eines ist sicher: Wäre er schwarz gewesen, hätte er wohl das volle Strafmaß erhalten."

"Täter werden selten zur Verantwortung gezogen"
Der Fall sorgte in den USA für Empörung. Mehr als 500.000 Menschen hatten bis Dienstagabend eine Online-Petition unterzeichnet, in der die Amtsenthebung des zuständigen Richters gefordert wird. Für Sofie Karasek (22) von der Hilfsorganisation "End Rape on Campus" ist das milde Urteil keine Überraschung. "Es ist ein weiterer Beweis dafür, dass Sextäter an Universitäten selten zur Verantwortung gezogen werden", sagte die Aktivistin am Dienstag. Statistiken zufolge wird jede fünfte Frau an US-Hochschulen während ihrer Studienzeit Opfer sexueller Gewalt.

Karasek selbst war als 18-jährige Studienanfängerin an der Universität in Berkeley von einem Kollegen belästigt worden. Seither macht sie sich für mehr Sicherheit und Hilfe für die Opfer stark. Sie war 2014 an der Einführung des sogenannten "Yes Means Yes"-Gesetzes beteiligt. Kalifornien ist der erste US-Staat, der "affirmative consent" verlangt, also eine ausdrückliche Zustimmung für eine sexuelle Begegnung zwischen Studenten. Wer etwa betrunken ist, unter Drogen steht, bereits eingeschlafen oder bewusstlos ist, kann dem Gesetz zufolge keine Einwilligung geben.

Empörender Brief: Vater spricht von "20-Minuten-Aktion"
Die Elitehochschule teilte mit, sie nehme sexuelle Übergriffe auf dem Campus "sehr ernst". Schon zwei Wochen nach dem "schrecklichen Vorfall" habe Turner Campusverbot erhalten. Er wurde von der Universität und von seinem Schwimmteam ausgeschlossen. In Kalifornien wird er auch nach Absitzen der Haftstrafe lebenslang als Sextäter geführt.

Für seine Freunde und Angehörigen ist das schon Strafe genug. In einem Brief an den Richter bat sein Vater um ein mildes Urteil. Sein Sohn sei nun ständig deprimiert, er habe keinen Appetit mehr und all seine Lebensträume seien geplatzt. Eine Haftstrafe sei "ein hoher Preis für eine 20-Minuten-Aktion", schrieb der Vater. Der Richter sah das anscheinend ähnlich. Der junge Täter habe keine Vorstrafen, machte Persky geltend. Eine längere Haftstrafe könnte ernsthafte Folgen für ihn haben. "Die machen sich mehr Sorgen um die Auswirkungen für den Täter als um die Folgen für das Opfer", empört sich Karasek.

"Mein Schaden ist innerlich"
Das Opfer beschrieb diese Folgen in dem Brief an den Täter sehr deutlich: "Dein Schaden ist greifbar; Auszeichnungen, Abschlüsse und Studium sind weg. Mein Schaden ist innerlich, unsichtbar, ich trage das mit mir herum. Du hast meinen Wert weggenommen, meine Privatsphäre, meine Energie, meine Zeit, meine Sicherheit, meine Intimität, mein Vertrauen, meine eigene Stimme, bis heute."

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