"Krone"-Analyse

Welche Macht hat der Bundespräsident?

Österreich
21.05.2016 16:55

Wir wählen Norbert Hofer oder Alexander Van der Bellen zum Bundespräsidenten. Es wird weder über Parteien noch den Wechsel in der Regierung abgestimmt. In der Verfassung ist nachzulesen, mit welcher Macht ein Präsident ausgestattet ist. Politikwissenschaftler Peter Filzmaier analysiert für die "Krone", was der Bundespräsident machen kann und darf.

  1. Ernennung der Bundesregierung: Nach Artikel 70 unserer Bundesverfassung ernennt der Präsident den Kanzler und dessen Minister. Theoretisch auch ein Expertenkabinett ohne (Partei-)Politiker, weil er formal an nichts und niemand gebunden ist. Genauso können Hofer oder Van der Bellen die Regierung entlassen. Plangemäß wären sie mit Angelobungen in der Amtszeit bis 2022 nur nach der Nationalratswahl 2018 beschäftigt. Die übernächste Regierungsbildung ist ohne vorgezogene Neuwahlen erst im Jahr 2023. Worüber sich viele aufregen, steht also vielleicht bloß an einem von mehr als 2000 Arbeitstagen des Präsidenten im Mittelpunkt.
  2. Wofür der Präsident einen Regierungsvorschlag benötigt: Für fast alle anderen Handlungen benötigt der Präsident - das steht in Artikel 67 - Regierungsvorschläge. Wollen Hofer oder Van der Bellen Neuwahlen erzwingen, müssten sie die aktuelle Regierung hinauswerfen und schnell irgendwelche Nachfolger ernennen. Notfalls sind das Mitarbeiter ihres Büros. Als Verbündete können sie nach wenigen Stunden eine Parlamentsauflösung vorschlagen. Allerdings wäre der Nationalrat ebenso flott bemüht, die so ernannte Marionettenregierung abzuberufen. Selbst juristische Laien erkennen, dass das zu einer Staatskrise führt. Der Rechtswissenschaftler Manfried Welan schreibt treffend, dass der Präsident Vertrauensregeln mit Parlament und Regierung braucht. Die wechselweise Kontrolle darf kein Prinzip des Misstrauens sein. Dann fehlt das politische Miteinander, und Österreich wird unregierbar.
  3. Verfassungsmäßigkeit der Gesetze: Ähnliches gilt für Gesetze. Der Präsident beurkundet Beschlüsse des Parlaments. Artikel 47 der Verfassung meint, dass er das korrekte Zustandekommen prüft. Ob etwa Fristen eingehalten wurden. Verfassungsrechtler sind einig, dass die persönliche Meinung egal sein soll. Es ist unerheblich, ob Hofer bzw. Van der Bellen ein Steuer-, Schulunterrichts- oder Verkehrsgesetz inhaltlich gefällt. Unterschreibt der Bundespräsident dennoch nach politischem Gutdünken nicht, kann ihn keiner zwingen. Nicht gezeichnete Gesetze treten nicht in Kraft. Weil sie das Zusammenleben ordnen - von der Zahl der Schulstunden bis zu den Verkehrsregeln - führt das zur Blockade des politischen Systems. Ohne gesetzliche Deckung darf der Staat weder Steuern einnehmen noch beispielsweise Sozialleistungen auszahlen.
  4. Notverordnungsrechte: Diese hat der Bundespräsident laut Artikel 18 "zur Abwehr eines offenkundigen, nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Allgemeinheit". Bisher kam das nie zur Anwendung. Sinn der Sache ist, wenn das Parlament sich nicht treffen kann. Von Naturkatastrophen oder Atomunfällen bis zu Unruhen oder Krieg ist es möglich. Freilich muss der später wieder tagende Nationalrat die Verordnungen entweder bestätigen oder sofort aufheben. Der Bundespräsident hat dabei nichts mehr zu sagen.
  5. Höchstgerichtsurteile und deren Ausführung: Unterschätzt wird die hinten in der Verfassung (Artikel 146) stehende Aufgabe des Bundespräsidenten, Urteile des Höchstgerichts zu exekutieren. Das geschichtliche Beispiel dazu: Der Verfassungsgerichtshof entschied 2001, dass in Kärnten zweisprachige Ortstafeln aufzustellen sind. Was nicht gemacht wurde. Streng genommen hätte der Bundespräsident es mit Hilfe des Bundesheeres tun können. ie Idee dahinter ist logisch: ie Verfassungsrichter widerrufen oft Akte einer Bundes-, Landes- oder Gemeinderegierung. Wenn sich Minister, Landesräte oder Bürgermeister weigern, das Gerichtsurteil umzusetzen, wer außer dem Präsidenten sollte das tun? Der Gerichtshof hat keine Soldaten.
  6. Apropos Bundesheer: Mit der Verfassungsänderung 1929 ging in Artikel 80 der Oberbefehl auf den Präsidenten über. Großteils ist das symbolisch. Denn dem Wehrgesetz zufolge übt der Bundesminister für Landesverteidigung die operative Befehlsgewalt aus. Das heißt: Kein Präsident schickt Panzer aus der Kaserne ins Feld, beordert Grundwehrdiener an die Grenze oder zum Schneeschaufeln und verteilt das Militärbudget. Paraden und Vereidigungen wiederum sind keine Sicherheitspolitik.
  7. Vertretung Österreichs im Ausland: Was bleibt ist, dass der Präsident Österreich im Ausland vertritt. Das bedeutet mehr als diplomatische Reisen. Er hat das im Verfassungsartikel 65 verbriefte Recht, Staatsverträge zu unterschreiben. Zum Teil mit Zustimmung des Parlaments. Abgesehen von der gemeinsamen Gegnerschaft zum US-EU-Handelsabkommen "TTIP" stritten Hofer und Van der Bellen über Österreichs Rolle in der Welt: Das nationale Denken eines EU-Skeptikers steht der Internationalität eines Befürworters der EU gegenüber.

Nur Wirklichkeit nach Amtsantritt zählt
So oder so gilt: Die Kompetenzen eines Bundespräsidenten sind in Zusammenarbeit mit allen Staats- und EU-Organen zu erfüllen. Wer sorgsamer damit umgehen wird? Der zitierte Welan bezieht sich auf einen Spruch Johann Nestroys: Im Wahlkampf hätten beide Kandidaten sich mit oft unrealistischen Möglichkeiten beschäftigt. Was zählt, ist die Wirklichkeit nach dem Amtsantritt.

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