Stress mobilisiert den Organismus, um belastende Situationen bewältigen zu können. Wie sich das auf das menschliche Sozialverhalten und insbesondere auf das Einfühlungsvermögen (Empathie) auswirkt, ist noch weitgehend ungeklärt. Bekannt ist, dass Menschen und Tiere bei Stress entweder eine Kampf- oder eine Fluchtreaktion zeigen.
Die Wissenschaftler sind in ihrer Studie daher davon ausgegangen, dass Personen in einer belastenden Situation "aufgrund der Schutzfunktion von Stress egozentrischer werden und sich dies negativ auf deren Empathiefähigkeit auswirkt", erklärte Livia Tomova vom Institut für Psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden der Uni Wien. In der Studie mussten 40 Männer und 40 Frauen eine öffentliche Präsentation halten und anspruchsvolle Rechenaufgaben unter Zeitdruck lösen. Dass dies tatsächlich stressig für sie war, wurde über einen Anstieg der Pulsfrequenz sowie des Stresshormons Cortisol bestätigt.
Deutliche Geschlechterunterschiede
Im Anschluss mussten die Teilnehmer verschiedene Aufgaben durchführen, mit deren Hilfe sich Empathie messen lässt. Die Unterscheidung selbst- und fremdbezogener Emotionen und Kognitionen, also die Fähigkeit, seine eigenen Gefühle und Gedanken von jenen des Gegenübers zu unterscheiden, stellt eine Grundlage dafür dar, sich in andere Personen emotional und gedanklich hineinversetzen zu können.
Dabei zeigten sich in allen Aufgaben entgegengesetzte Effekte von Stress auf die sozialen Fähigkeiten von Männern und Frauen. Frauen konnten unter Stress besser zwischen selbst- und fremdbezogenen Emotionen und Kognitionen unterscheiden und waren dadurch in der Lage, empathischer auf andere Personen zu reagieren. Männer hingegen zeigten ein Verhaltensmuster, das eher mit einer klassischen Kampf- oder Fluchtreaktion erklärt werden konnte. Dies führte dazu, dass sie unter Stress egozentrischer und weniger einfühlsam wurden, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift "Psychoneuroendocrinology".
Frauen schütten bei Stress mehr Oxytocin aus
Bei der Frage, welche Faktoren diese unterschiedlichen Reaktionen bedingen, verweist Studienleiter Claus Lamm "neben möglichen erziehungsbedingten und kulturellen Einflüssen" auch auf biologische Erklärungen. So zeigen Frauen unter Stress eine höhere Ausschüttung des Hormons Oxytocin als Männer. Oxytocin hat einen starken Einfluss auf soziale Interaktionen, es ist auch als "Kuschel- bzw. Bindungshormon" bekannt. Um diese Annahme zu überprüfen, wollen die Wissenschaftler in einer weiteren Studie untersuchen, ob tatsächlich Unterschiede in der hormonellen Stressreaktion die unterschiedlichen Auswirkungen von Stress auf Frauen und Männer erklären können.
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