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Pro Melzer! Warum er noch lange spielen soll

Sport
01.10.2013 11:32
Blitzartig wagten sich seine (anonymen) Kritiker aus der Defensive: Die Halbfinal-Niederlage Jürgen Melzers in Kuala Lumpur war für seine Gegner die ideale Vorlage, um das verbale Dauerfeuer gegen Österreichs Nummer eins wieder zu eröffnen. Völlig zu Unrecht! Was Melzer in seiner Karriere erreicht hat, wird womöglich sehr lange kein Österreicher mehr erreichen. Redakteur Michael Fally meint daher: Jürgen möge noch lange spielen.

Nimmt man Jürgen Melzer als "Nährboden", treibt die berüchtigte österreichische Raunzer-Mentalität besonders farbenfrohe Blüten. (Nicht repräsentatives) Beispiel gefällig? Bitte sehr: Ein örtlicher Tennisplatz im Mittelburgenland (Ortschaft der Redaktion bekannt). Soeben macht die Nachricht von Melzers Turniersieg in Winston Salem die Runde. Große Freude macht sich über die weitläufige Anlage breit - könnte man meinen. Tatsächlich ist der einhellige Tenor unter den Hobby-Tennisspielern nämlich ein ganz anderer: "Aber nächste Woche kannst ihn wieder vergessen."

Weltklasse, aber unbeliebt
Symptomatisch für Melzers Standing in weiten Teilen der österreichischen Bevölkerung. Der Mann zählte vor gar nicht allzu langer Zeit zu den acht besten Tennisspielern auf dem Planeten - eine Wahnsinnsleistung für einen Österreicher. Er ist nach Thomas Muster der mit Abstand erfolgreichste Tennisspieler der Nation - und von einem Status als Everbody's Darling trotzdem weit entfernt. Einige Erklärungsversuche für das Image, das sich Melzer nicht verdient hat:

  • Thomas Muster. An ihm werden sich noch viele Generationen die Zähne ausbeißen. Womöglich wird es nie wieder einen rot-weiß-roten Tennisakrobaten geben, der Muster auch nur annähernd das Wasser reichen kann. Macht aber auch nix, solange man Muster als absolute Ausnahmeerscheinung, als Jahrhundertsportler anerkennt. Genau das passiert in vielen Communitys nicht - sehr zum Nachteil von Melzer, dessen Profi-Karriere ausgerechnet unmittelbar nach Musters Abgang in Schwung kam. Da erwarteten sich viele eine - für Österreich völlig unrealistische - Fortsetzung der unglaublichen Muster-Ära. Gemessen an Muster schaut man als österreichischer Tennisspieler schnell einmal alt aus.
  • Sein Outfit. Dass er mit 32 Jahren die Baseball-Kappe bei jedem Spiel immer noch verkehrt herum trägt, lässt vielerorts Zweifel aufkommen, ob Melzer der Pubertät schon entflohen ist. Dass viele bei Melzer noch immer auf den Stimmbruch hoffen, entkräftet genannten Verdacht wohl kaum.
  • Sein Gehabe. Schon wieder ein Vergleich mit Muster: Melzer stöhnt bei den Schlägen nicht; er zerpflügt den Court nicht, wenn er "unmögliche" Bälle auszugraben versucht; er schreit nicht nach spektakulären Punkten; er lässt nach misslungen Schlägen schon einmal die Schultern hängen, schaut dazu ein bisserl "zwida". Das erweckt - ganz im Gegenteil zu Muster - den Eindruck, als gebe er nicht alles. Noch dazu bewahrt er ständig Contenance, brilliert auch unmittelbar nach Niederlagen stets mit rhetorisch ausgefeilten und wohlüberlegten Analysen. Emotionale Ausbrüche bei TV-Interviews? Fehlanzeige! Wie man nach schwachen Partien so gefasst sein kann, erschließt sich vielen (selbsternannten) Experten nicht.
  • Seine Inkonstanz. Nicht selten lässt Melzer starken Auftritten vermeintlich unnötige Erstrundenniederlagen folgen. So weckt er bei den Tennis-Fans Hoffnungen auf noch mehr, deren Zerstörung durch Niederlagen die Anhänger umso mehr schmerzt.

Nicht wenige Tennis-Affine addieren die angeführten Fakten zum simplen Schluss, dass Melzers Tage gezählt seien und er das Racket, vor allem im Davis Cup, an den Nagel hängen solle. Ich behaupte: Unsinn! Es ist nicht so, dass Melzer einer Horde nachdrängender Supertalente den Platz verstellen würde - und wenn, wäre er wohl der Erste, der das erkennt und abdankt. Es ist nicht selbstverständlich, dass er sich mit 32 Jahren immer noch in den Dienst seines Heimatlandes stellt.

Dass er dabei nicht immer glückliche Figur macht - keine Frage, siehe Groningen. Nur: Ohne Flaggschiff Melzer bräuchten wir die allermeisten Davis-Cup-Partien mangels reeller Siegchancen gar nicht in Angriff zu nehmen. Apropos: Dass Österreich mit der Pleite gegen die Niederlande aus der Weltgruppe abgestiegen ist, tut weh. Dass wir davor aber fünf Jahre lang zu den 16 (!) Top-Nationen der Tenniswelt gezählt haben, ist eine absolute Sensation. Kann sich jemand im Fußball eine derartige Platzierung vorstellen? Eben!

Mehr Realitätssinn
Ein bisserl mehr Sinn für die Realität täte auch bei der Beurteilung von Jürgen Melzers Karriereleistungen gut. Fünf ATP-Titel im Einzel und zwei Grand-Slam-Titel (!) im Doppel zu gewinnen, ist im Land der Skifahrer ein Riesenleistung. Und wer's mit 32 noch ins Halbfinale von Kuala Lumpur schafft und dort knapp am Bezwinger von David Ferrer (!) scheitert, ist definitiv noch zu gut für die Pension.

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(Bild: KMM)



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