"Vatikan-Revolution"

Papst fordert Wende: Kirche soll weniger urteilen

Ausland
20.09.2013 15:19
Papst-Worte, die hohe Wellen schlagen: In seinem ersten großen Interview hat Franziskus nun nicht weniger als eine Wende gefordert - die katholische Kirche solle sich nicht länger in die heiklen Fragen der Homo-Ehe, der Scheidung, Abtreibung oder Verhütungsmethoden verbeißen. Seine Herde der knapp 1,2 Milliarden Katholiken, so mahnt es der Papst ein, müsse vielmehr missionarisch sein, offen, sich vor allem auch um das Wohl der Menschen, also der Sünder, kümmern.

"Ich sehe die Kirche wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht", erklärt der Jesuit im Interview mit jesuitischen Zeitschriften in mehreren Sprachen. Die Losung des Papstes heißt dabei schlicht und einfach: "Die Wunden heilen, die Wunden heilen - man muss unten anfangen." Erst wenn diese "sozialen Wunden" geheilt sind, "dann können wir von allem Anderen sprechen", entpuppt sich der 76-Jährige mehr und mehr als ganz großer Kommunikator mit einem ganz großen Auftrag. Nicht andere Menschen verurteilen, vielmehr ihre Herzen erwärmen, so der Tenor. "Die Kirche hat sich manchmal in kleine Dinge einschließen lassen, in kleine Vorschriften." Diener dieser Kirche sollen aber vor allem Diener der Barmherzigkeit sein, fordert Franziskus.

Beobachter sehen "revolutionäre Worte"
Vatikan-Journalisten und Religionsexperten loben in hohen Tönen die "Revolution im Vatikan", die klar aus dem Papst-Interview hervorgehe. "Revolutionäre Worte" sieht etwa der Mailänder "Corriere della Sera" in diesem Versuch des Pontifex, seine an der Spitze verkrustete Kirche wachzurütteln. Franziskus reiße dabei die bekannten konservativen Dogmen der Kirche nicht ein, er praktiziert aber einen neuen Stil.

Wenn der Argentinier auf dem Stuhl Petri von Homo-Ehe oder Scheidung spricht, dann ist das noch keine Umkehr von katholischen Lehren, sehr wohl aber der offensive Ruf nach einer Umgewichtung: "Wir können uns nicht nur mit der Frage um die Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit den Verhütungsmethoden." Das gehe nicht mehr, hält der Jesuit im Interview fest. Katholische Seelsorge dürfe heutzutage schlichtweg nicht mehr davon besessen sein, eine Menge Lehren unterschiedslos aufzudrängen.

Papst: "Der Beichtstuhl ist kein Folterinstrument"
"Der Beichtstuhl ist kein Folterinstrument, sondern der Ort der Barmherzigkeit." Das ist einer der vielen Sätze, mit denen der Papst zu einer neuen Haltung aufruft, damit das moralische Haus der Kirche nicht wie ein Kartenhaus zusammenfalle. Er will eine aktive, tiefe und ausstrahlende Verkündigung des Evangeliums. Die Gläubigen wollten Hirten, keine "Funktionäre oder Staatskleriker" - eine harsche Kritik vor allem an der Kurie in Rom, die er noch reformieren will. Und aus der heraus er wohl auch schon attackiert wurde, wie er im Gespräch offenbart: "Ich habe nicht viel über diese Sachen (wie Abtreibung, Schwulenehe) gesprochen. Das wurde mir vorgeworfen."

Der Glaube soll im 21. Jahrhundert also nicht eine Ideologie unter vielen sein. Vonnöten ist eine nach vorne gerichtete Vision, die dem Einzelnen Freiheit lässt, statt ihn mit katholischen Vorschriften praktisch zu umzingeln: "Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben." Wieder so ein markanter Satz, mit dem Franziskus seiner Kirche nun neue Wege, neue Räume auftun will.

Franziskus bestätigt Treue zur katholischen Morallehre
Seine Treue zur katholischen Morallehre bestätigt er ganz nebenbei in dem Interview, das zu Papier gebracht knapp 29 Seiten lang ist. Die Ansichten der katholischen Kirche sind bekannt genug, und er sei doch auch ein Sohn der Kirche. Und für die Frauen wünscht er sich dort mehr Einfluss, dabei aber keine "Männlichkeit im Rock". Ein Monarch im Hofstaat Vatikan will dieser Papst bei alledem nicht sein, und seine Kirche hat er schon ein gutes Stück entstaubt.

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