Wiener Studie

Für “Menschen wie mich” setzt man sich leichter ein

Wissenschaft
18.10.2012 10:05
Versetzt man sich in die Gedanken- und Gefühlswelt eines Menschen hinein, löst dies bei einem selbst eine sogenannte Humanisierung aus. Je mehr man den anderen als Individuum mit Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen wahrnimmt, also als "Mensch wie ich", umso mehr ist man bereit, sich später für diese Person einzusetzen. Das zeigt eine nun veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern der Universität Wien, die den Effekt dieser Humanisierung untersucht haben.

Es gibt sogenannte moralische Dilemmata, bei denen man sich zwischen zwei Alternativen mit negativem Ausgang entscheiden muss. Eines etwa behandelt einen führerlosen Zug, der auf fünf Gleisarbeiter zurast. Mit dem Stellen einer Weiche kann man den Zug auf ein Gleis umleiten, wo sich nur ein Arbeiter befindet. Die Frage ist, ob man bereit ist, eine Person zu opfern, um fünf das Leben zu retten.

Die meisten Menschen würden diesem Fall eine utilitaristische Entscheidung treffen und die Weiche stellen. Geht es in einem ähnlichen Problem aber darum, auf einer Fußgängerbrücke einen Mann mit einem schweren Rucksack in die Tiefe zu stoßen, um fünf andere zu retten, lehnt dies ein Großteil der Personen ab.

Humanisierung und Gehirnaktivität untersucht
Es gab bereits verschiedene Erklärungsversuche, warum manchmal die "nützliche" Entscheidung gewählt wird und manchmal nicht. Die Wissenschaftler der Social, Cognitive and Affective Neuroscience Unit der Universität Wien haben nun in Kooperation mit Kollegen von der Medizinischen Universität den Effekt der Humanisierung auf Entscheidungen in solchen moralischen Dilemmata untersucht und dabei auch ihre Gehirnaktivitäten mithilfe von funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) gemessen.

Dazu wurden 40 männlichen Versuchspersonen zunächst Texte über imaginäre Personen gegeben. Bei manchen Texten war es notwendig, sich in die Person hineinzuversetzen, um sie zu verstehen und Fragen über sie zu beantworten – die Probanden wurden also in Richtung Humanisierung manipuliert. Andere Texte und Fragen zu den Personen bezogen sich ausschließlich auf sachliche Informationen, ein Hineinfühlen in die fiktiven Personen war nicht notwendig.

"In jedem Fall hatten die Studienteilnehmer abschließend in einer fiktiven Situation zu entscheiden, ob sie die jeweils beschriebene Person opfern würden, um das Leben mehrerer anderer retten zu können", erklärte Studienautorin Jasminka Majdandzic in einer Aussendung der Uni Wien. Dazu mussten sie sich in 24 verschiedenen moralischen Dilemmata entscheiden.

Humanisierte Personen weniger oft geopfert
Es zeigte sich, dass die humanisierten fiktiven Personen weniger oft geopfert wurden als nicht-humanisierte Personen. Die Entscheidungen bei humanisierten Personen verursachte den Probanden auch mehr Stress: "Sie taten sich anscheinend schwer, die irrationelle Alternative zugunsten des Wohls der Mehrheit zu unterdrücken", so die Wissenschaftler. Das verdeutlichte die fMRT, wo sich während einer solchen Entscheidung in einem Netzwerk von Gehirnarealen, das konflikthafte Situationen, negative Emotionen und Selbstkontrolle verarbeitet, erhöhte Aktivität zeigte.

Die Wissenschaftler betonen, dass das Konzept der Humanisierung nicht bedeutet, dass eine Person "menschlicher" als andere sei. Es bedeutet nur, dass diese Person lebhafter als "Mensch wie ich" wahrgenommen werde, mit Gedanken, Gefühlen und der Fähigkeit zu leiden. Das Ausmaß, in dem man einen anderen als Mensch mit Gedanken und Gefühlen wahrnimmt, dürfte den Studienergebnissen zufolge aber entscheidend für das soziale Verhalten ihnen gegenüber sein.

Auch in wirklichen Notfallsituationen, etwa im Falle eines Rettungseinsatzes, dürfte sich eine gewisse Voreingenommenheit nur schwer unterdrücken lassen und Personen bevorzugt werden, die man als "Mensch wie ich" wahrnimmt, vermuten die Wissenschaftler. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift "PLOS ONE" veröffentlicht.

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