Bienensterben

Film klagt an: “Wir haben aus Bienen Pudel gemacht”

Wissenschaft
09.10.2012 11:09
Der Schweizer Filmemacher Markus Imhoof setzt sich in seinem neuen Dokumentarfilm "More Than Honey" (ab 12. Oktober im Kino) mit dem Bienensterben auseinander. Im Interview spricht der 71-Jährige darüber, wie die Tiere durch das Eingreifen des Menschen immer mehr unter Druck geraten und welche Konsequenzen diese Entwicklung bereits mit sich bringt. Imhoofs Botschaft: "Wenn es keine Bienen gäbe, würde der Teller ziemlich traurig aussehen und die Menschen, die darauf blicken, auch, weil ein Drittel von allem, was wir essen, von Bienen bestäubt wird."

Als Spross einer Imkerfamilie macht sich der Schweizer Filmemacher in "More Than Honey", eine Koproduktion der Wiener Allegro Film, auf die Spuren heutiger Bienenhaltung. Beeindruckende Bilder aus dem Inneren der Wabe und die weltumspannende Geschichte von den Lebens- und Arbeitsbedingungen einer Tierart: Auf seiner Reise von der Schweiz über Österreich nach Nordamerika, Mexiko, China und Australien begegnet Imhoof Liebhaberei und Massenbienenhaltung, Selbstversorgung und "Big Business" - und dem, was bleibt, wenn die Bienenvölker verschwunden bzw. ausgestorben sind.

Denn in China ist das Bienensterben vollendet, hier muss die Bestäubungsarbeit auf den Plantagen mittlerweile in Kleinstarbeit von Menschenhand verrichtet werden. In den USA gibt es sie noch, die industriell organisierten Massen von Bienenvölkern, die nach getanem Werk dem Pestizidangriff und der langen, oft tödlichen Reise im Lkw ausgesetzt sind. Und nicht einmal beim beschaulichen Bergimker in der Schweiz herrscht eitel Wonne: Die Bienen sterben sogar hier. Eine Prognose für die Zukunft wagt "More Than Honey" nicht. Auf dem Filmplakat wird Albert Einstein zitiert: Nur vier Jahre, meinte er, hätte die Menschheit zu leben, wenn die Bienen verschwunden sind.

Herr Imhoof, den Bienen geht es seit einigen Jahren schlecht. Seit wann ist das so augenscheinlich?
Markus Imhoof: Seit etwa sechs Jahren geht es ihnen anhaltend schlecht. Zum Beispiel in der Schweiz waren es dieses Jahr 70 Prozent Bienenverluste. In Amerika und in Europa sind es meist ungefähr 30 Prozent. Man muss sich einmal vorstellen, 30 Prozent aller Kühe wären jedes Jahr tot - da gebe es einen nationalen Aufschrei. Weil die Bienen aber so klein sind und weil man sich die Gedanken nicht macht, dass sie uns ja wesentlich miternähren, ist das eine Zeitungsnotiz, und dann geht es vorbei. Wenn das aber weiter so bleibt, dann werden es immer weniger Bienen - es wird zwar hektisch nachgezüchtet, aber der Genpool wird immer kleiner. Irgendwann gibt es einen Kollaps.

Was sind denn die Gründe dafür?
Imhoof: Viele Leute hoffen, dass es gleichsam einen Grund gibt und wenn man den ausschaltet, ist alles gut. Dass ist genau das falsche Denken, denn in Wirklichkeit ist es eine Summe von verschiedenen Gründen, die alle einen gemeinsamen Kern haben. Einerseits sind es die Pestizide, die in Monokulturen in großen Mengen gebraucht werden, da Monokulturen ein Fest für Parasiten sind. Auf der anderen Seite sind es Bienenkrankheiten, wobei eine der schlimmsten, die Varroamilbe, ein Effekt der Globalisierung ist - sie ist aus China eingeschleppt worden. Die europäischen Honigbienen können mit ihr nicht umgehen, da der Anpassungsprozess lange dauern würde. In Europa, Nordamerika und China kann keine Honigbiene ohne medikamentöse Hilfe überleben. Das wollen zwar die Imker nicht gerne hören, aber es ist so. Jeder Imker muss nach der Honigernte seine Bienen zumindest mit Ameisen- oder Oxalsäure behandeln, sonst sterben sie.

Wie weit ist diese Entwicklung schon fortgeschritten?
Imhoof: Es gibt keine wild lebenden Honigbienen in Europa, Amerika und Asien mehr. Man hat einen Versuch gemacht, wo man einfach 150 Bienenvölker auf einer Insel sich selbst überlassen hat. Nach drei Jahren waren es nur noch sechs, die überlebt haben. Leider hat man das Experiment abgebrochen, denn das wäre genau der richtige Punkt gewesen. Die, die nämlich überlebt haben, hätte man weiter erforschen und züchten müssen. Einer der Gründe für das Bienensterben ist, dass sie auf Fleiß und Sanftmut gezüchtet werden und nicht auf Gesundheit. Man müsste sie robuster züchten. Sie sind jetzt von Wölfen zu anfälligen Pudeln geworden - man müsste wieder mehr Wolf zulassen. Stress, Pestizide, Krankheiten, Medikamente, Monokulturen und Verarmung der Landschaft - das sind eigentlich alles Dinge, an denen der Mensch schuld ist.

Hat der Mensch die Honigbiene also zu einer Art Auslaufmodell gemacht?
Imhoof: Der Mensch hat die Biene so perfektioniert, wie er sie braucht. Jetzt kann sie ihre Fließbandarbeit nicht mehr bewältigen, weil sie ihre natürlichen Fähigkeiten verloren hat, sich zu wehren.

Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn forschen in Westaustralien auf diesem Gebiet - wie ist dort der Stand der Forschung?
Imhoof: In Australien gibt es die Varroamilbe bisher nicht. Daher gibt es dort noch wild lebende Honigbienen. Die australischen Honigbienen kamen mit den Siedlern ins Land, sind zum Teil entkommen und leben wie Mustangs in der Wildnis. Die haben natürlich einen anderen Genpool als die "Haustier-Bienen". Nun versucht man, den Genpool durch die verwilderten Bienen anzureichern. So versuchen sie die Bienen fitter zu machen, falls die Varroa kommt. Der nächste Schritt wäre dann, diese auf Widerstandsfähigkeit gezüchteten Bienen nach Neuguinea zu bringen, dort der Varroa auszusetzen und die Stämme, die sich am besten verhalten, dann in Australien weiterzuzüchten. Das ist natürlich ein Wettlauf gegen die Zeit.

Ein Thema in dem Film ist auch die "afrikanisierte Honigbiene" (eine Kreuzung aus afrikanischen und europäischen Bienen, Anm.), die in den USA auch als "Killerbiene" bezeichnet wird. Sie ist gegenüber der Milbe resistent. Ist ein Zusammenleben mit diesem weit wehrhafteren Bienenstamm aus Ihrer Sicht möglich?
Imhoof: Man müsste wahrscheinlich schon einen Weg finden, die ein wenig sanfter zu züchten, ohne die Immunstärke zu verlieren. Dazu wäre viel Forschung nötig, die aber nicht gemacht wird, da diese Bienen in den USA als Ungeziefer gelten. In Südamerika hält man sie, allerdings nicht in so dicht besiedelten Gebieten. Man muss sie jedenfalls sehr sorgfältig behandeln, das heißt, man kann auch keine industrielle Wanderimkerei mit ihnen betreiben. Da gebe es ein großes Forschungsfeld, das viel zu wenig bearbeitet wird.

Ein Bienenstock wird ja auch oft als "Superorganismus" bezeichnet, also als Lebewesen, das sich aus vielen Lebewesen zusammensetzt. Hat der Mensch jetzt mit der Wanderimkerei, wo dieser Organismus immer wieder auseinandergerissen und neu zusammengesetzt wird, den Bogen überspannt?
Imhoof: Ein Bienenvolk besteht ja aus Geschwistern. Die industrielle Imkerei nimmt darauf keine Rücksicht. Das ist, wie wenn man im Kinderzimmer Kinder aus dem 5. Bezirk hat, in der Küche welche aus dem 1. Bezirk und im Schlafzimmer die aus Linz - und die sollen jetzt aber zusammen wieder funktionieren. Sie finden sich unter diesen Umständen zwar zurecht, sie sind aber im Stress und verlieren Kraft dadurch, die sie zur Bekämpfung einer Krankheit benötigen würden - nur weil so oberflächlich mit ihnen umgegangen wird. Die Bienen sind so liebenswürdig, das zu akzeptieren, aber es schwächt sie und es ist sinnlos, sie zu schwächen, wenn man es anders machen kann.

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