Arabischer Frühling

Große Enttäuschung am “Geburtsort der Revolution”

Ausland
13.12.2011 12:55
Ein Denkmal sucht man noch vergebens im Geburtsort des "Arabischen Frühlings, in Sidi Bouzid. Der Ort, an dem vor einem Jahr eine neue Epoche eingeläutet wurde, ist ein staubiges Kaff im zentraltunesischen Oliven- und Gemüseanbaugebiet. An den Wänden stehen aufgesprühte Revolutionssprüche in Englisch, Arabisch und Französisch. "Dort ist es gewesen", erklärt ein Aktivist und deutet auf den Boden - hier hat sich vor einem Jahr der arbeitslose Gemüsehändler Mohammed Bouazizi (im Bild dessen Familie) aus Verzweiflung über Behördenwillkür in Brand gesteckt.

Nach dem Vorfall kam Empörung auf, das Geschehnis verbreitete sich schnell über die Internet-Medien und wurde in der Region aufgegriffen. Die Tat löste einen Flächenbrand in der arabischen Welt aus, der über autoritäre Regime in Tunis, aber auch in Kairo und Tripolis hinwegfegte.

In roter Farbe hat jemand Sidi Bouzids Hauptstraße in "Mohammed Bouazizi Street" umbenannt. Während in der französischen Hauptstadt Paris mittlerweile ein Platz nach Bouazizi benannt wurde, hat man in Tunesien andere Sorgen. Zwei junge Arbeitslose befinden sich seit Tagen im Hungerstreik vor dem Gebäude, an dem die Verzweiflungstat vor einem Jahr ein neues arabisches Selbstbewusstsein hervorgebracht hat.

"Nichts hat sich geändert"
Verblichene Diplome von gut ausgebildeten, aber weiter arbeitslosen jungen Tunesiern hängen wie Anklageschriften an der Wand. Auf 14.000 wird die Zahl der arbeitslosen jungen Akademiker hier geschätzt. "Nichts hat sich geändert", sagt der Bauer und Aktivist Issam Affi heute mit leichter Resignation in der Stimme. "Wir werden den Jahrestag feiern, zugleich aber auch zeigen, dass hier vieles beim Alten geblieben ist", meint er mit Blick auf die ab dem 17. Dezember geplanten dreitägigen Feiern mit Musik, Tanz und Poesie-Wettbewerben.

Affi ist einer der jungen Leute, die sich vor einem Jahr noch dem brutalen Sicherheitsapparat von Diktator Ben Ali bei tagelangen Demonstrationen entgegengestellt hat. Fliegerjacke, coole Sonnenbrille auf der Nase und zudem entpuppt sich Affi als Experte in der Welt der sozialen Medien. Über Facebook und Twitter hat er Videos und Fotos der örtlichen Demonstrationen ins Internet gestellt und so die Welt erst aufmerksam gemacht. Die "Karama" - die Würde - der tunesischen Jugend habe er wiederherstellen wollen, meint Affi rückblickend. Durch ein korruptes, repressives Regime sei ihr Potenzial unterdrückt worden.

Umbruch bleibt aus, Machtvakuum hält an
Als der verhasste Langzeit-Diktator Zine El Abidine Ben Ali am 14. Jänner dann Hals über Kopf aus dem Land floh, setzte die Hoffnung auf Änderung auch bei den Jugendlichen von Sidi Bouzid ein. Doch Jobs sind auch heute noch Mangelware in einer Gegend, in der es vor allem Olivenhaine und Marmor-Steinbrüche gibt. Fünf ausländische Investmentprojekte zeichneten sich direkt nach der Revolution ab - sie lassen immer noch auf sich warten.

Das kleine nordafrikanische Land braucht dringend Investitionen - allein in den ersten neun Monaten knickten sie gegenüber dem Vorjahr um fast ein Drittel ein. "Uns wurde erklärt, dass Investoren jetzt etwas nervös sind", meint Souad Guesmi von der regionalen Entwicklungsbehörde. Daran hat auch der Wahlsieg der Islamisten nicht viel geändert, die in Tunesien wie auch anderen arabischen Ländern das entstandene Machtvakuum zu füllen suchen.

Tunesier warten noch auf neue Regierung
Die mit großer Mehrheit gewählte moderate islamistische Ennandha-Partei hat bisher versprochen, einen gemäßigten Islam als Grundlage des neuen Tunesiens zu machen. In der Hauptstadt Tunis gibt es bereits die ersten Machtspiele zwischen "Modernisten" und Anhängern eines radikalen Islam, die sich bei Demonstrationen vor dem Parlament gegenüberstanden. Auf eine neue Regierung warten die Tunesier allerdings noch immer vergeblich.

Aber immerhin haben die Tunesier ein Jahr später mit Moncef Marzouki einen neuen Präsidenten. Der frühere Menschenrechtler wurde am Montag von der verfassungsgebenden Versammlung in Tunis gewählt (siehe Infobox).

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