Ziegelfensterforscher

Die „Stadelguckerin“ kletterte über jeden Zaun

Kärnten
25.06.2023 16:00

Sie haben wichtige Funktionen und sind ein Kärntner Kulturgut: Ziegelfenster an Ställen. Ingeborg Müllner dokumentiert und rettet sie.

Beim Wandern und Bergsteigen fielen Ingeborg Müllner die oft wunderschönen Ziegelfenster an Ställen auf, welche die leidenschaftliche Fotografin mit der Kamera festhielt und bei den Besitzern Fragen zur Baugeschichte stellte.

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Zunächst wurde ich belächelt. Auch mein Mann sagte: Die sind ja alle gleich! Aber das sind sie nicht!

Ingeborg Müllner dokumentiert und rettet historische Stadelfenster in Kärnten

Der an der TU Graz tätige befreundete Architekt Hasso Hohmann interessierte sich ebenfalls für die Stadelfenster. Es kam zum regen Austausch. „Solche Ziegelfenster gibt es nur in Kärnten, der Steiermark, im Friaul und in Slowenien“, weiß Dieter Müllner, der mittlerweile ebenfalls einen Blick für das landschaftsprägende Kulturgut entwickelt hat.

Wie eine Kirche präsentiert sich der Stall in Krumpendorf.
Wie eine Kirche präsentiert sich der Stall in Krumpendorf.(Bild: Stadelfenster und Ziegelkultur)

Trümmerfrau der anderen Art
„Mit Norbert Rencher habe ich das erste Buch über die Stadelfenster gemacht“, erinnert Ingeborg Müllner. „Ich bin über Zäune geklettert, in Stadel gegangen, habe die Besitzer gefragt, was sie darüber wissen, ob sie das Baujahr kennen, ob ich fotografieren darf.“ Ganz Kärnten fuhr die forschende Klagenfurterin ab und suchte auch auf Schutthalden alte Ziegel, um diese zu retten. „Seit damals nennt man sie auch liebevoll Trümmerfrau oder Stadelguckerin, was schon zu ihrem Markennamen wurden und auch oft in Briefen als Anrede zu lesen ist“, lächelt Dieter Müllner.

Drei aufgehende Sonnen in Neuhaus.
Drei aufgehende Sonnen in Neuhaus. (Bild: Stadelfenster und Ziegelkultur)

Verein erforscht und rettet Stadelfenster
2005 gründete das Ehepaar den Verein Stadelfenster, der das Kärntner Kulturgut der Ziegelgitterfenster erhalten will und mittlerweile bereits etwa 1100 Ziegel gesammelt hat. „Die befinden sich im Sammlungs- und Wissenschaftszentrum des ,kärnten.museum’“, so Müllner. Im Zuge der Recherchen stieß der Verein auch auf die Ziegeleien. „Früher gab es in Kärnten 70 gewerbliche Ziegeleien, die ihre Waren mit Stempel kennzeichneten. Auch im Hausbrand wurden Ziegel hergestellt. Ton gab es ja quasi überall“, so Müllner.

Christliche Symbole in Annabichl.
Christliche Symbole in Annabichl.(Bild: Stadelfenster und Ziegelkultur)

Ziegel gegen Feuerschäden
„Angefangen hat die Ziegelfensterkultur um 1850. Die Stadel, die ja die wirtschaftliche Basis für Bauern sind, waren zuvor oben aus Holz und hatten hölzerne Lüftungsgitter. Es kam häufig zu Feuerschäden. Also hat die Feuerversicherung bei Lüftungsgittern aus Ziegeln günstigere Prämien gewährt. Dadurch wurden zahlreiche Stadel umgebaut. Meist von friulanischen Wanderarbeiten“, weiß Dieter Müllner.

Renovierter Stadel beim Schloss Ottmanach.
Renovierter Stadel beim Schloss Ottmanach.(Bild: Stadelfenster und Ziegelkultur)

Funktionen der Ziegelgitterfenster
In Oberkärnten hingegen, ab Himmelberg westwärts, haben sich die Ziegelfenster nie durchgesetzt. Unterschiedliche Bauarten verfolgen verschiedene Ziele: Grundsätzlich sollen Ziegelgitterfenster für eine gute Durchlüftung von Heu und Getreide sorgen. Manche schützen auch besonders gut vor Schlagregen, andere wiederum vor Funkenflug.

Ein schützender Kopf (Untergreutschach).
Ein schützender Kopf (Untergreutschach).(Bild: Stadelfenster und Ziegelkultur)

Kirchenfenstern zum Verwechseln ähnlich
Gebaut wurden eckige, Rundbogen- und Spitzbogenfenster sowie kunstvolle Rosetten. „Manche erinnern stark an Kirchenfenster. Deutsche Urlauberkinder fragten einmal, warum wir in Kärnten so viele Kirchen ohne Turm haben. Das waren lauter Ställe mit sakralähnlichen Fenstern“, erzählt Ingeborg Müllner. „In der Nähe einer Kirche sind die Stadelfenster oft glockenförmig, an Pilgerwegen finden sich manchmal religiöse Motive wie das IHS oder das Marienmonogramm als Gruß an die Wallfahrer“, ergänzt Dieter Müllner. An manchen Fenstern sollen Fratzen- und Tierköpfe Unheil abwehren. Das sogenannte Kärntner Kreuz ist eine typische Bauform.

Neidköpfe sollten besonders schützen (Timenitz).
Neidköpfe sollten besonders schützen (Timenitz).(Bild: Stadelfenster und Ziegelkultur)

„Um zahlreiche herrliche Fenster habe ich gekämpft bis zum Heulen“, verrät Ingeborg Müllner, die oft Bitten um Hilfe bei der Rettung eines Stadels erreichen.

Glockenform: oft nahe einer Kirchen (Treffelsdorf).
Glockenform: oft nahe einer Kirchen (Treffelsdorf).(Bild: Stadelfenster und Ziegelkultur)

Neue Funktionen der Ställe
Weil viele Ställe nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck benötigt werden, werden sie oft umgebaut. „Da gibt es wunderbare Beispiele wie den Pfarrstadel in Maria Rojach, der zum Kulturzentrum wurde. In St. Salvator befindet sich das Automuseum in einem Stall, in Poggersdorf der Kindergarten, in Mauthen die Brauerei Loncium“, freut sich das Ehepaar Müllner, das 2007 ein weiteres Buch über Stadelfenster herausgebracht hat und mit dem Verein zu alljährlichen Stadelfahrten einlädt.

Lehm, Ton, Wasser für die Bausteine der Kulturen

„Lasst uns Ziegel streichen und brennen! ... eine Stadt und einen Turm bauen...“ heißt es in der Bibel im ersten Buch Mose. Doch die Geschichte der Ziegel ist noch viel älter. Schon 8000 Jahre vor Christus wurden Ziegel per Hand aus Lehm hergestellt. Ohne sie zu brennen: Sie trockneten an der Luft. 4000 Jahre vor Christus wurden in Mesopotamien Ziegel in Formen in gleicher Größe hergestellt und gebrannt. In Persien, Indien, China, in den islamischen Kulturen wurden Ziegel gebrannt und teils kunstvoll gestaltet. Die Römer verbreiteten die Kunst der Ziegelherstellung im Alpenraum.

Kontakt zum Verein im Internet unter stadelfenster.at

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