"Anklageverbot"

Immunitätsgesetz: Justiz zerpflückt geplante Änderung

Österreich
15.09.2011 09:20
Schon vor dem offiziellen Start des Nationalrats in die neue Saison am kommenden Mittwoch sorgt ein Tagesordnungspunkt für heftigen Wirbel. Der vorliegende Vier-Parteien-Entwurf für ein neues Immunitätsgesetz wurde jetzt vom Justizministerium zerpflückt: Die geplante Neufassung würde die Arbeit der Justiz "massiv behindern" und stelle sogar "de facto ein Anklageverbot" dar, kritisieren die Beamten unverblümt.

Zunächst bleibt das Justizministerium bei seiner Beurteilung noch freundlich im Ton. Die Beamten halten eine "zeitgemäße Anpassung" der Abgeordneten-Immunität für "begrüßenswert". Der vorliegende Vier-Parteien-Entwurf sei auch eine "gute Grundlage" dafür. Doch dann dreht die Behörde auf: Der Entwurf würde "die Justiz massiv behindern", weil er in einigen Bereichen zu weit gefasst sei. Der Schutz der Parlamentarier im Zuge ihrer politischen Tätigkeit sei wichtig, aber Immunität dürfe "kein Freibrief für strafrechtlich relevante Handlungen werden".

Das Ministerium spricht sich unter anderem explizit dagegen aus, dass künftig auch Abgeordnete selbst - und nicht nur Dritte - ihre Äußerungen aus Parlamentsreden straffrei wiedergeben können. Bisher waren zivilrechtliche Klagen gegen Beleidigungen möglich, wenn sie ein Abgeordneter außerhalb des Parlaments wiederholte. Schaffe man diese Möglichkeit ab, gefährde man das Grundrecht Betroffener auf Zugang zu einem gerichtlichen Verfahren, argumentiert das Ministerium.

"De facto ein Anklageverbot"
"Jegliche strafrechtlichen Ermittlungen erheblich gefährdet" sieht das Justizministerium durch das geplante Ermittlungsverbot, das die außerberufliche Immunität ersetzen soll. Denn davon wären alle Sachverhalte rund um die Vorbereitung oder Erfüllung parlamentarischer Tätigkeiten umfasst - und zwar nicht nur die der Abgeordneten, sondern aller damit befassten Personen. Dies könnte "de facto zu einem Anklageverbot führen", bemängelt das Ministerium.

Auch das neue Parlamentsgeheimnis missfällt dem Justizministerium: Analog zum Redaktionsgeheimnis sollen Abgeordnete und ihre Mitarbeiter berechtigt sein, Zeugenaussagen über Informanten - im Zusammenhang mit der parlamentarischen Tätigkeit - zu verweigern. Durch diese "massive Ausweitung" auf einen unbestimmten Personenkreis könnte die Aufklärung von Straftaten erheblich behindert werden, meint das Justizministerium. Die Regelung sei viel zu weit gefasst und lasse zu viel Interpretationsspielraum offen. Denn schon ein pauschaler Arbeitsauftrag, "Missstände in der Republik aufzudecken", könnte zum Zeugnisverweigerungsrecht führen.

Grünen-Mandatar verteidigt Neuregelungen
Der Grünen-Abgeordnete Dieter Brosz sieht das anders. Vielerorts würden die Regeln seiner Meinung nach so betrachtet, als würden sich Abgeordnete neue Privilegien schaffen wollen, beklagte er am Mittwoch noch vor der Schelte des Justizministeriums. Tatsächlich gehe es bei der Neuregelung aber darum, die parlamentarische Kontrolle zu stärken und Abgeordnete bei Aufdeckungstätigkeiten zu schützen.

Denn die Justiz habe schon mehrmals versucht, die Immunität zu umgehen - etwa, als man versucht habe, den Laptop von Peter Pilz (in der Causa "Strasser-E-Mails") zu beschlagnahmen. Oder als die Staatsanwaltschaft in der Causa Haidinger, nachdem Pilz nicht ausgeliefert und somit nicht Beschuldigter werden konnte, dem Abgeordneten kurzerhand als "Zeugen" Druck machte.

"Existenzbedrohende" Klagen gegen Abgeordnete?
Die Frage sei jetzt, "wer sich durchsetzt". Brosz hofft, dass die ÖVP - die ja den Vier-Parteien-Antrag mit verhandelt und mit eingebracht habe - bei ihrer Zustimmung bleibe. Reden kann man aus seiner Sicht darüber, Formulierungen klarer zu fassen. Aber der Kern, der bessere Schutz aufdeckender Abgeordneter, müsse beibehalten werden - auch wenn ein gewisses Risiko des Missbrauchs bestehe.

Denn derzeit stünden Abgeordnete, die Missstände aufdecken - wie etwa die Grüne Gabriele Moser - häufig unter dem Risiko "existenzbedrohender" zivilrechtlicher Klagen von Unternehmen oder auch Ministern und Ex-Ministern. So hat allein Karl-Heinz Grasser in den vergangenen Jahren zahlreiche Klagen gegen Grüne und auch SPÖ-Abgeordnete eingebracht.

Prammer: "Sind absolut richtig unterwegs"
Auch Nationalratspräsidentin Barbara Prammer von der SPÖ steht weiterhin zum vorliegenden Entwurf für eine Reform der Abgeordneten-Immunität. Zwar könne man in einzelnen Punkten noch Formulierungen nachschärfen, doch grundsätzlich "sind wir absolut richtig unterwegs", bekräftigte sie am späten Mittwochabend.

Am Donnerstag zeigten sich SPÖ und ÖVP dann doch einsichtig. Die Koalitionsparteien wollen laut ORF-"Morgenjournal" den Vier-Parteien-Entwurf überarbeiten. Zumindest Beleidigungen oder Verleumdungen durch Abgeordnete außerhalb von Parlamentsreden sollen doch nicht straffrei gestellt werden.

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