Computer-Modell

Forscher simulieren erstmals Geburt der Milchstraße

Wissenschaft
29.08.2011 11:22
Seit bald zwanzig Jahren versuchen Astrophysiker, die Entstehung von Spiralgalaxien wie etwa unserer Milchstraße realistisch nachzubilden. Jetzt ist es Wissenschaftlern der Universität Zürich zusammen mit Kollegen der University of California in Santa Cruz erstmals gelungen, die Entstehung unserer Heimatgalaxie an Hochleistungscomputern wirklichkeitsgetreu zu simulieren. Ein durchschnittlicher PC hätte dafür 570 Jahre benötigt.

Bislang waren alle bisherigen Versuche, die Entstehung von Spiralgalaxien zu simulieren, an einem von zwei Punkten gescheitert: Entweder wiesen die simulierten Galaxien im Zentrum zu viele Sterne auf oder aber die gesamte Sternenmasse war um ein Vielfaches zu groß.

Höchst komplexe Simulation
Für ihre Arbeit entwickelte eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Lucio Mayer, Astrophysiker an der Universität Zürich, und Piero Madau, Astronom an der University of California, eine höchst komplexe Simulation, bei der eine unserer Milchstraße ähnliche Spiralgalaxie ohne weiteres Zutun aus sich selbst entstand.

Die Simulation gestattet im Zeitraffer einen Einblick in nahezu die gesamte Entstehungsgeschichte einer Spiralgalaxie. Ihren Anfang nimmt sie weniger als eine Million Jahre nach dem Urknall. Sie zeigt außerdem, dass in einem Gebilde, das sich zu einer Spiralgalaxie entwickeln soll, die Sterne in den Bereichen mit riesigen aufgelösten Gaswolken-Komplexen entstehen müssen.

In diesen kalten molekularen Riesenwolken weisen die Gase extrem hohe Dichten auf. Die Sternbildung und Verteilung erfolgt dort nicht gleichmäßig, sondern klumpig und in Haufen. Dies wiederum führt zu einer wesentlich größeren Erhitzung durch lokale Supernova-Explosionen. Durch diese massive Erhitzung wird unter hoher Rotverschiebung sichtbare Standardmaterie ausgeschleudert, was die Bildung einer gewölbten Scheibe im Zentrum der Galaxie verhindert.

Das Ausschleudern von Standardmaterie reduziert zudem die Gesamtmasse an vorhandenem Gas im Zentrum, so die Forscher. Dies führt dazu, dass die richtige Sternmasse gebildet wird, wie sie auch in der Milchstraße zu beobachten ist. Am Ende der Simulation resultiert eine schmale, gekrümmte Scheibe, die den astronomischen Beobachtungen an der Milchstraße in Bezug auf die Verhältnisse von Masse, Drehimpuls und Rotationsgeschwindigkeit völlig entspricht.

Astronomische Rechnerleistung

Für die Berechnungen wurde das Modell weiterentwickelt, welches Mayer und Kollegen im Zusammenhang mit der Simulation der Entstehung scheibenförmiger Zwerggalaxien erarbeitet und 2010 im Wissenschaftsmagazin "Nature" publiziert hatten. Das hoch auflösende Modell simuliert die Entstehung einer Galaxie mit 790 Milliarden Sonnenmassen und umfasst 18,6 Millionen Partikel, aus denen sich Gase, Dunkle Materie und Sterne bilden. Die hohe Auflösung der numerischen Simulationen bildet die Voraussetzung für die bahnbrechenden neuen Erkenntnisse.

Für die Simulation kamen Hochleistungs-Supercomputer zum Einsatz, denn ein regulärer durchschnittlicher PC hätte für die Berechnungen 570 Jahre benötigt.

Heiße Gase im Zentrum

Die neue Simulation bestätigt die von Mayer publizierten Resultate zur Entstehung von scheibenförmigen Zwerggalaxien und zeigt, dass das Modell – im Gegensatz zu allen bisherigen Ansätzen – sowohl kleine als auch sehr große Galaxien wirklichkeitsgetreu abbilden kann. Weiter kann aus der Simulation abgeleitet werden, dass Protogalaxien mit einer großen, aus Gasen und Sternen bestehenden Scheibe im Zentrum bereits eine Milliarde Jahre nach dem Urknall und damit lange vor der Bildung unserer heutigen Galaxien entstanden sind.

Aufgrund der Simulation ist auch das Verhältnis von "kalter Dunkler Materie" und Standardmaterie in Spiralgalaxien zu korrigieren. Um die richtige Gesamtsternmasse im Endstadium der Galaxie zu erhalten, ist es zwingend, dass Standardmaterie durch Supernova-Winde aus dem Zentrum ausgeschleudert wird.

Sterne am Rand der Milchstraße
Die Simulation sagt zudem für den 600.000 Lichtjahre entfernten äußersten Halo der Milchstraße Sterne und Gase voraus. Erst die nächste Generation an Raumsonden und Teleskopen wird in der Lage sein, diese nur sehr schwach leuchtenden Sterne zu detektieren. Weiter macht die Simulation Voraussagen in Bezug auf die radiale Verteilung von heißen Gasen um die zentrale Scheibe der Galaxie. Zukünftige Teleskope, die Röntgenstrahlen messen können, wie sie z.B. die IXO-Mission der ESA plant, werden diese Vorhersage prüfen.

Foto: Universität Zürich

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