Gewalt ohne Ende

Drei Todesopfer in vierter Krawallnacht in Großbritannien

Ausland
10.08.2011 13:51
Die Gewalt in Großbritannien hat in der Nacht auf Mittwoch weitere Todesopfer gefordert. Drei Männer wurden in Birmingham, offenbar als sie ihren Wohnblock vor Randalierern schützen wollten, mit einem Auto totgefahren. Die Ausschreitungen selbst weiteten sich in der vierten Krawallnacht in Folge zu einem Flächenbrand aus. Während es in London weitgehend ruhig blieb, verlagerte sich die Szene in die Industrie-Metropolen im Norden des Landes. Hunderte Jugendliche wurden dort nach Brandstiftungen und Plünderungen festgenommen.

Der tragische Vorfall in Birmingham habe sich am Rande der Krawalle an einer Tankstelle in der Innenstadt ereignet, teilte die Polizei Mittwochmorgen mit. Nach Angaben von Rettungskräften waren rund 80 Menschen am Ort des Geschehens, als sie zur Rettung der Opfer eintrafen. Zwei der Männer waren auf der Stelle tot, der dritte Mann erlag seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus.

Mittlerweile wurden in Nähe der Tankstelle ein Auto sichergestellt und ein Mann festgenommen. Die Polizei leitete Ermittlungen wegen Mordes ein. Die drei Männer im Alter von 20 bis 31 Jahren waren Briten asiatischer Abstammung und hatten sich nach einem Moscheebesuch gemeinsam mit anderen zur Bildung einer Bürgerwehr verabredet, um ihre Geschäfte zu schützen.

Augenzeuge: "Auto überfuhr sie einfach"
In der Nacht seien dann laut einem Augenzeugen zunächst mehrere Autos an den vor den Geschäften ausharrenden Anwohnern vorbeigefahren. Die Insassen der Fahrzeuge hätten die Ladenbesitzer dabei beschimpft. Eines der Autos habe dann umgedreht und sei "mit unglaublicher Geschwindigkeit" über den Gehsteig gefahren und haben die Männer mitgerissen. Diese seien dabei durch in die Luft geschleudert worden. "Sie standen am Rande der Straße und das Auto überfuhr sie einfach", sagte ein weiterer Zeuge.

"Es ist sinnlos, dass Menschen sich so verhalten und drei unschuldigen Menschen das Leben nehmen", sagte der Vater eines der Opfer, Tariq Jahan, dem Rundfunksender BBC. Sein Sohn habe sein Leben erst begonnen. "Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich."

Bereits am Dienstag hatte es ein Todesopfer zu beklagen gegeben: Ein 26-Jähriger, der in London angeschossen worden war, starb wenige Stunden später in einem Krankenhaus. Der Mann war mit mehreren Schusswunden in einem Auto im südlichen Stadtteil Croydon gefunden worden, wo die Randalierer besonders schwere Schäden angerichtet hatten.

In London ruhig, Ausschreitungen in weiteren Städten
In London selbst hat ein massives Aufgebot von 16.000 Polizisten dafür gesorgt, dass es nicht zu einer weiteren Nacht der Brandstiftungen und Plünderungen kommen konnte. Mindestens ein Schwerverletzter wurde aber auch in der Hauptstadt verzeichnet: Ein Mann war im Stadtteil Ealing von mehreren Randalierern brutal attackiert worden, als er versuchte, einen von ihnen in Brand gesteckten Abfalleimer zu löschen. Er befindet sich laut Angaben der Polizei in Lebensgefahr.

Schwere Ausschreitungen meldete die Polizei aus den Industrie-Metropolen Manchester, Nottingham und Birmingham (siehe weitere Bilder oben). Auch in Salford, Wolverhampton, Liverpool, West Bromwich, Bristol und Gloucester kam es zu Krawallen. Insgesamt wurden seit Dienstagabend 464 Personen festgenommen, berichtet die Online-Ausgabe der britischen Zeitung "Guardian".

In Manchester im Nordwesten des Landes liefen nach Angaben der Polizei Hunderte teils maskierte Jugendliche durch das Stadtzentrum, warfen Schaufensterscheiben ein und plünderten Schuh- und Kleidungsgeschäfte sowie einen Elektromarkt. Zudem setzten sie mehrere Gebäude in Brand und schleuderten Wurfgeschosse auf die Polizisten. Die Polizei war mit mehreren Hundertschaften vor Ort im Einsatz. Ein Polizeivertreter sprach von den schwersten Krawallen in Manchester in den vergangenen 30 Jahren.

Ein Anrainer sagte dem britischen Rundfunksender BBC, das Plündern habe über Stunden angehalten, nachdem es den Polizisten nicht gelungen sei, die Masse zurückzuhalten. Der Leiter des größten Einkaufszentrums der Stadt, Glen Barkworth, sagte, Jugendliche hätten Absperrgitter in die Türen von Geschäften geschleudert.

Polizei will Kontrolle "Straße für Straße" zurückgewinnen
"Das sind ganz einfach Verbrecher, die heute Nacht durchdrehen", sagte Garry Shewan, ein ranghoher Polizeioffizier in Manchester. "Das ist sinnlose Gewalt und sinnlose Kriminalität in einer Größenordnung, wie ich sie nie zuvor gesehen habe." Er warnte die Randalierer, es gebe zahlreiche Videoaufzeichungen von der Gewalt. "Morgen früh werden wir kommen, um Verhaftungen vorzunehmen."

Im Großraum Manchester wurden bereits in der Nacht mindestens 50 Krawallmacher festgenommen, wie die Polizei mitteilte. Die Beamten würden die Kontrolle über die Innenstadt "Straße um Straße" wiedergewinnen. Am frühen Mittwochmorgen hieß es, die Zahl der Randalierer im Zentrum nehme ab.

Polizeistation mit Molotow-Cocktails in Brand gesetzt
Im zentralenglischen Nottingham griff eine Gruppe von 30 bis 40 Randalierern eine Polizeistation an und setzte sie mit Molotow-Cocktails in Brand. Verletzt wurde niemand, wie die Polizei mitteilte. Das Feuer konnte später gelöscht werden, mindestens acht Menschen wurden festgenommen.

Auch in der zentralenglischen Stadt Wolverhampton wurden Geschäfte ausgeraubt, in West Bromwich nahe der zentralenglischen Stadt Birmingham wurden Zusammenstöße gemeldet. Dort errichtete eine Gruppe von rund 200 Menschen nach Angaben der Polizei Barrikaden, zündete Autos an und bewarf Polizisten. Auch in Birmingham selbst gingen die Krawalle am Dienstagabend weiter.

Auch Promis wurden Opfer der Krawalle
Es war die vierte Nacht in Folge, in der es in Großbritannien Krawalle gab. Seit Beginn der Ausschreitungen am Samstag im nördlichen Londoner Stadtteil Tottenham wurden allein in der Hauptstadt rund 770 Verdächtige festgenommen, Hunderte weitere auch in anderen Städten. Mehr als hundert Polizisten wurden verletzt.

Opfer der Ausschreitungen wurden auch Prominente. So verwüsteten Randalierer ein Restaurant des Star-Kochs Jamie Oliver in Birmingham und in Notting Hill wurde das Lieblingslokal von Kate Moss und Lilly Allen angegriffen. Angelina Jolie fürchtet um die Sicherheit ihrer Kinder und ein Laden von Oasis-Sänger Liam Gallagher wurde geplündert.

Premierminister David Cameron, der wegen der dramatischen Lage in London seinen Urlaub in der Toskana abbrach, will am Mittwochvormittag erneut eine Sitzung des Sicherheitskabinetts in London leiten, nachdem bereits am Dienstag eine Sondersitzung des Nationalen Sicherheitsrates einberufen worden war. Für Donnerstag hat Cameron das Parlament zusammengerufen.

Mann in Tottenham schoss nicht auf Polizei
Auslöser der Unruhen ist der Tod eines Mannes, der am Donnerstag bei einem Polizeieinsatz im Londoner Stadtteil Tottenham erschossen worden war. Die Polizei hatte die Situation zunächst so dargestellt, dass der farbige vierfache Familienvater das Feuer eröffnet habe. Der Polizeischütze habe demnach aus Notwehr gehandelt, als er ihm in einem Taxi sitzend in die Brust schoss.

Diese Version, die von der Familie des Toten von Beginn an angezweifelt wurde, wurde dann am Dienstagabend widerlegt. Wie Scotland Yard mitteilte, seien bei einer Untersuchung keine Beweise dafür gefunden worden, dass der Mann zuerst geschossen hätte. Es seien am Tatort keine Geschosse gefunden worden, die aus der Waffe des 29-Jährigen stammten, hieß es. Nach dieser Bekanntmachung befürchten die Behörden nun noch eine Ausweitung der Gewalt.

Bisher keine Österreicher zu Schaden gekommen
Nach Kenntnis des österreichischen Außenministeriums sind in London bisher keine Österreicher zu Schaden gekommen. Von den Ausschreitungen betroffen gewesen seien manche heimische Reisende aber insofern, als dass sie etwa zeitweilig nicht in ihre Hotels zurückkehren konnten, sagte Außenamtssprecher Peter Launsky-Tieffenthal am Dienstag. Punktuell seien auch von Touristen frequentierte Stadtteile Londons von den Krawallen betroffen gewesen.

Das Außenministerium rät, Menschenansammlungen, die im Zusammenhang mit den Krawallen stehen, zu meiden und unbedingt den Anweisungen der britischen Sicherheitskräfte Folge zu leisten. Zudem sollten sich England-Reisende auch nach ihrer Ankunft auf der Insel über Medienberichte und die Websiteation derzeit "im Fluss" sei und es auch zu "nicht vorhersehbaren, spontanen Ausschreitungen" kommen könne.

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