Finanzspekulation

ÖBB-“Experten” bei 600-Millionen-Deal völlig ahnungslos

Österreich
05.07.2011 17:25
Ein halbes Jahr lang dauerte der "kleine U-Ausschuss" zu den ÖBB, der sich auch mit dem 295-Millionen-Euro-Verlust nach dem Spekulationsgeschäft mit der Deutschen Bank beschäftigte. Jetzt liegt der Bericht vor. Die Aussagen zeigen ein bedenkliches Sittenbild. Die Mitarbeiter, die den Deal einfädelten, hatten demnach von diesen Finanzvehikeln keinerlei Ahnung. Anschließend schoben sich die ÖBB-Topmanager gegenseitig die Schuld an dem Fiasko zu.

Das 2005 unter dem damaligen ÖBB-Chef Martin Huber (Bild) eingegangene Spekulationsgeschäft mit der Deutschen Bank wurde im Jänner 2010 gegen Einmalzahlung der ÖBB an die Deutsche Bank in Höhe von 295 Millionen Euro vorzeitig beendet. Bei einem Volumen von 612,9 Millionen Euro hätte im schlimmsten Fall ein Totalverlust gedroht, als maximale Prämie bis 2015 wären aber nur 36,9 Millionen Euro zu lukrieren gewesen. Im April 2008 waren Huber sowie Finanzvorstand Erich Söllinger zurückgetreten.

Ex-Bahn-Boss Huber sieht die Wurzel des Übels offenbar in der unklaren Kompetenzen-Verteilung innerhalb des Konzerns. In seiner Befragung betonte er, dass es zwar in der neuen Bundesbahnstruktur auch eine neue Geschäftsordnung gegeben habe. Hinsichtlich Treasuries und Finanzgeschäften sei alles in dieser geregelt gewesen, "Finanzgeschäfte mit Derivaten waren allerdings nicht darin verankert". Im November 2005 habe er zum ersten Mal von den sogenannten CDO-Transaktionen mit der Deutschen Bank erfahren und diese als "ziemlich komplex" beschrieben.

Gab Bau-AG-Vorstand inkompetenten Mitarbeitern Vollmacht?
Gilbert Trattner, Vorstand der Bau AG, soll den Mitarbeitern der Treasury-Abteilung eine Vollmacht gegeben haben, diese Geschäfte abzuschließen, und die Mitarbeiter hätten diese Geschäfte ohne sein Wissen und ohne Söllingers Wissen abgeschlossen, so Huber laut Zusammenfassung. Zur Ausstellung der Vollmachten meinte Huber, dass "die CDO-Thematik so komplex war, dass dies die Kompetenz der Mitarbeiter von Herrn Trattner offensichtlich überstiegen hat, daher wurde Wanzenböck von Trattner und wahrscheinlich Vavrovsky eine Vollmacht ausgestellt, dieses Geschäft abzuschließen". Franz Wanzenböck war der Finanzexperte der ÖBB-Holding, Georg-Michael Vavrovsky der Bau-AG-Nachfolger von Trattner.

"Letztlich haben sich alle Beteiligten auf Wanzenböck verlassen", heißt es dazu vom früheren ÖBB-Holding-Finanzvorstand Söllinger im Schlussbericht. Dieser sei ein Experte für Cross-Border-Leasing-Geschäfte und habe auch geglaubt, die Geschäfte mit den Swaps zu verstehen. "Erst aufgrund seiner genauen Analyse stellte Söllinger fest, dass die Treasury-Abteilung den wahren Gehalt des Finanzproduktes überhaupt nicht verstanden habe", heißt es im Bericht.

Aufsichtsrat diskutierte viel, griff aber nicht ein
Auch die Rolle des Aufsichtsrats bei den Spekulationsgeschäften wird von Söllinger erläutert: "Es wurde viel diskutiert und auch gefragt, ob zur Beschlussfassung noch einmal der Aufsichtsrat befasst werden sollte. Die Analyse war jedoch, dass es nach der damaligen Geschäftsordnung kein zustimmungspflichtiges Geschäft gewesen ist. In Abstimmung mit dem damaligen Aufsichtsratspräsidenten Reithofer wurde von einer weiteren Befassung des Aufsichtsrates Abstand genommen. Der Aufsichtsrat wurde daher informiert, und es gab keine neuerliche Beschlussfassung, da das Geschäft bereits abgeschlossen war."

Die Auskunftsperson Wanzenböck zeichnet wiederum ein anderes Bild, wieso der Spekulationsdeal überhaupt zustande kam. Er bearbeitete als Sachbearbeiter die Cross-Border-Leasings der ÖBB und war dem damaligen ÖBB-Holding-Finanzvorstand Söllinger unterstellt. "Ab dem Jahr 2000 gab es die Bestrebung, diese Tilgungsträger mit guter Bonität und schlechter Rendite gegen Tilgungsträger mit etwas schlechterer Bonität aber höherer Rendite auszutauschen", heißt es in der Zusammenfassung seiner Aussage.

"In den einzelnen Unternehmen war alles im Umbruch, es gab keine ganz klaren Richtlinien, ob die Treasury-Abteilung der Infrastruktur AG jetzt reiner Finanzdienstleister für die operativen AGs wäre oder ob sie die Linie der Veranlagungen vorgeben sollte. Wanzenböck wurde von RCA und Infrastruktur Bau AG aufgefordert, die in diesem Bereich sehr aktiv waren, für eine bessere Veranlagung der Cross Border Leasing Geschäfte zu sorgen", heißt es im Bericht.

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