Schneider-Serie

Man muss nicht immer Ja sagen

Vorarlberg
15.05.2022 07:00

In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Robert Schneider Vorarlberger an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. In Vandans traf er Landtagsvizepräsidentin Monika Vonier.

Über der Vandanser Steinwand mit der prachtvollen Zimba baut sich eine mächtige Gewitterwolke auf. Auf den Bergkämmen liegt noch Schnee. Dunkle Schatten und gleißend weiße Lichttupfer wechseln einander ab, jagen über die Steilhänge dahin. „Daheim hieß es: ins Schwimmbad geht ihr erst, wenn der Schnee auf den Bergen weg ist“, erzählt mir Dr. Monika Vonier. Sie ist Vizelandtagspräsidentin, und ich treffe sie beim Eingang des Alpenbades Montafon. Das ist der Platz ihrer Kindheit. Hier hat sie ihre Sommer verbracht.

„Damals sah es hier noch etwas anders aus. Schon als Kleinkind war ich mit der Mama im Planschbecken. Später mit dem älteren Bruder, dann mit Freunden und heute mit den eigenen Kindern. Es war der erste Ort in meinem Leben, der mir etwas von Freiheit und Unabhängigkeit vermittelte. Der Inbegriff von Sommer. Am Morgen aufs Fahrrad und hierher. Gefühlt jeden Tag. Ein paar Schillinge Taschengeld. Gehen sich Pommes und Twinni-Eis aus? Oder nur Twinni? Wer schleckt es am geschicktesten, damit es schön in der Mitte auseinanderbricht? Wer traut sich vom Fünf-Meter-Turm zu springen? “

Auf dem Schwimmbadgelände in der Schwimmbadstraße Nr. 1 herrscht Betriebsamkeit. Die Saison steht kurz vor der Eröffnung. Die Schwimmbecken werden mit großen Feuerwehrschläuchen eingelassen. Ein netter, sehr durchtrainierter junger Mann eilt herbei. Er kennt Frau Dr. Vonier. Man duzt sich. Wenn wir etwas brauchen, sollen wir uns ruhig melden. Auf der gegenüberliegenden Seite schleift ein Arbeiter mit großer Behutsamkeit Bretterplanken glatt, damit sich ja kein Kind einen Splitter holt.

Robert Schneider: War das Schwimmbad der Ort der ersten Verliebtheit?
Monika Vonier: Sie meinen den ersten Kuss? Das nicht. Aber in atmosphärischer Hinsicht hat sich hier natürlich Einiges abgespielt. Man hat sein Badetuch schon dort ausgebreitet, wo man wusste, dass man ihn dann in aller Ruhe beobachten kann.

Schneider: Erzählen Sie mir von Ihren Eltern.
Vonier: Das ist nicht so einfach. Ein Mensch hat ja so viele Facetten. Mein Vater, der 2019 verstorben ist, war Bodenleger, arbeitete selbstständig in Stuttgart und war nur an den Wochenenden da. Ein Sonntagspapa. Die Mama ist eine gestandene Montafonerin, tüchtig und fleißig, hat gern Gesellschaft um sich und war auch in der Gemeindevertretung sehr aktiv ...

Schneider: Also daher die politische Ader, der Wille, etwas zu gestalten?
Vonier: Ich weiß nicht. Schwer zu sagen, wo Prägungen herkommen. Das Interesse für politische, soziale und ökologische Themen hat sicher auch mein Volksschullehrer geweckt. Ich habe schon mit acht Jahren eine Unterschriftenaktion gegen Walfang gestartet. Ein markanter Punkt in meiner Kindheit war, als sich meine Eltern scheiden ließen. Ich war damals elf oder zwölf Jahre alt. Umziehen und jeder hatte dann einen neuen Partner, und das hat mir schon zu schaffen gemacht.

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Ich bemühe mich, mein Bestes zu geben. Gleichzeitig kann ich auch über mich lachen.

Monika Vonier

Schneider: Wie war das Verhältnis zu den Eltern?
Vonier: Der Vater war ja nur am Wochenende da, am Samstag wurde ums Haus gearbeitet und am Sonntag machte man Ausflüge. Mit meinem Vater habe ich mich als Kind ganz gut verstanden. Nach der Scheidung wurde unser Verhältnis kompliziert. Meine Mutter war mehr oder weniger Alleinerzieherin und kümmerte sich um alles. Sie musste in ihrem Leben oft stark sein. Sie kam als fünfjähriges Mädchen unter die „Montjola-Lawine“, wo ihre Mutter ums Leben kam. Das war übrigens am selben Tag wie das verheerende Unglück in Blons. Solche Schicksale gehen natürlich nicht spurlos an einem vorbei und sind auch viele Jahre später spürbar.

Schneider: Ihre Eltern hatten Ferienwohnungen wie im Montafon üblich?
Vonier: Ja, aber es war nicht so, dass wir Kinder, wenn die Gäste kamen, ausziehen mussten.

Schneider: Hat Sie der Umgang mit internationalen Gästen weltläufiger gemacht?
Vonier: Kann ich nicht sagen. Ich mochte es, wenn Leben im Haus war und suchte auch den Kontakt mit den Gästen. Ich erinnere mich, dass mir unsere Stammgäste aus Holland eine Freude machen wollten. Sie schenkten mir Lakritz, weil ich das nicht kannte. Ich probierte davon. Es hat mich fast gewürgt. Ob es mir denn geschmeckt habe, fragten die Holländer. Anständig, wie ich war, sagte ich „Danke, sehr gut!“, worauf ich jedes Jahr eine riesige Tüte dieser ekligen Lakritzschnecken bekommen habe. Da habe ich gelernt, dass man nicht immer Ja sagen muss, um zu gefallen.

Schneider: Waren Sie als Kind eher die Anführerin?
Vonier: Ich war Klassensprecherin, galt immer als vernünftig, wusste meinen Kopf schon durchzusetzen und wollte schon früh die Dinge selbstständig machen. Ich bin nach dem Motto groß geworden: Hausaufgaben machen und dann wieder kommen, wenn es dunkel ist. Aber ich musste mich schon behaupten lernen, weil ich mit sehr vielen Buben in der Nachbarschaft aufgewachsen bin. Das denke ich mir heute oft, weil die vielen Konstellationen in Wirtschaft und Politik doch sehr männlich geprägt sind

Schneider: Also immer noch Buben, die die Mädchen an den Zöpfen reißen?
Vonier: Ich hatte zwar Zöpfe, aber gerissen wurde nie. Heute geht es mir um ein ausgewogenes, respektvolles Miteinander.

Schneider: Hatten Sie als Kind Angst vor der Nacht?
Vonier: Überhaupt nicht. Ich liebe die Nacht. Vollmondnächte. Eigentlich bin ich eine Nachteule. Aber wenn man als Kind Eduard Zimmermanns „Aktenzeichen XY ungelöst“ schauen durfte, hat man sich doch nicht mehr aufs Klo getraut. Der Mörder könnte ja ins Haus eingestiegen sein. In Jugendzeiten haben wir uns manchmal VHS-Kassetten mit grusligen Stephen-King-Filmen ausgeliehen. Aber da ließ ich mir die Angst natürlich nicht anmerken.

Schneider: Sie mögen sich?
Vonier: Ja, aber ich auch bin sehr kritisch mit mir. Ich habe wirklich den Anspruch, ein guter Mensch zu sein, so schal das vielleicht klingt. Ich bemühe mich, mein Bestes zu geben. Gleichzeitig kann ich auch über mich lachen. Ein wunderbarer Schutz gegen allfällige Eitelkeit. Das Klima im Miteinander ist rauer und aggressiver geworden. Unsere Demokratie hat Risse bekommen. Das macht mich sehr nachdenklich. Gerade deshalb müssen wir so um ein behutsames Miteinander ringen.

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