Fischer in Moskau

Österreich streichelt den russischen Bären

Österreich
19.05.2011 16:32
Mit einer ganzen Flugzeugladung Politiker und CEOs befindet sich derzeit Bundespräsident Heinz Fischer auf Staatsbesuch in Russland. Nicht zu knapp gibt es dabei von der Delegation mit etlichen Spitzenpolitikern und rund 140 Unternehmern Streicheleinheiten für den "russischen Bären" - auf dass die Arbeitsvisite milliardenschwere Früchte trage. Die Themen reichen von Bau- und Technologie-Kooperationen bis hin zur Breitspur-Eisenbahn-Trasse nach Wien.

Bauwirtschaft, Gesundheit, Konsumgüter, Maschinen, Dienstleister, die ÖBB - die Liste der Unternehmer und Firmenvertreter im Tross Fischers reicht quer durch die Branchen. Alles in allem sind es 140 Personen, die für 100 Betriebe neue Geschäftschancen erkunden.

Es ist dies eine der größten Wirtschaftsdelegationen bisher, sagte Walter Koren, Chef der Außenwirtschaftsorganisation der WKÖ. Mehr Leute "wären organisatorisch kaum mehr zu bewältigen".

Hintergrund ist die wirtschaftliche Achterbahnfahrt der vergangenen Jahre. Russlands Wirtschaft schrumpfte 2009 um fast acht Prozent, doppelt so stark wie die österreichische. Viele der Vorhaben, die während des Wien-Besuchs des damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin 2007 mit Pomp unterschrieben worden waren, hat die Krise begraben. Doch 2010 ist Russland wieder um vier Prozent gewachsen, auch wieder doppelt so stark wie Österreich. Und da würde die Alpenrepublik gerne ein Stück mitnaschen.

Russen wollen CEOs und Spitzenpolitiker
Manche der Firmen nehmen am Wirtschaftsforum teil, das am Donnerstag vom Bundespräsidenten eröffnet wurde, andere absolvieren ihre eigenen Termine. "Neulinge" nutzen die Gelegenheit, mit ihrem Importeur erstmals direkt zu sprechen, andere sind schon seit Jahrzehnten da und wollen nur "Flagge zeigen". Zu den Firmen, die an der Delegation teilnehmen, zählen Strabag und Alpine (Bau), ihre Kollegen aus der Baustoffbranche (Wienerberger) und der Verkehrstechnik (Kapsch), Anlagenbauer (Andritz Hydro), Autozulieferer (Magna, AVL List), Konsumgüter (Handl-Speck, Darbo), Banken, die Energiebranche (EVN) und Rechtsanwälte.

Begleitet werden sie u.a. von den Ministern Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Doris Bures (SPÖ) und Wirtschaftskammerchef Christoph Leitl. Auch Unterrichtsministerin Claudia Schmied und der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl (beide SPÖ) sind dabei. Die massive Präsenz von Politikern habe ihren Grund, heißt es. Die Russen legten Wert auf Spitzenvertreter. Ein Abteilungsleiter, "so gut der sein mag, ist als Türöffner zu wenig".

Präsidenten gut gelaunt im Kreml
Die Delegation landete schon am Mittwochabend in Moskau. Nach dem Empfang mit militärischen Ehren ging es danach zum Botschaftsempfang bei der ehemaligen First Lady Margot Klestil-Löffler, Österreichs Spitzendiplomatin in Russland. Nach der Eröffnung des Wirtschaftsforums traf Fischer schließlich am Donnerstag mit Präsident Dmitri Medwedew im Kreml zusammen. Zu Beginn des Gesprächs zeigten sich die beiden Präsidenten im "Grünen Saal" im Blitzlichtgewitter der Fotografen gut gelaunt.

Insgesamt waren zwei Stunden für Vier-Augen-Gespräch und Delegationstreffen anberaumt. Im Anschluss wurden mehrere Dokumente zwischen Österreich und Russland unterzeichnet. Darunter eine allgemein gehaltene Deklaration über eine Modernisierungspartnerschaft, ein Aktionsprogramm für die Modernisierung der Wirtschaft, ein Übereinkommen zur Zusammenarbeit im Bereich der Wettbewerbspolitik und ein Abkommen über die wirtschaftlich-technologische Zusammenarbeit.

Österreich will Russland in die WTO helfen
Fischer drückte bei der anschließenden Pressekonferenz die Bereitschaft Österreichs aus, für eine WTO-Mitgliedschaft Russlands konstruktiv beizutragen. Die Reporter stürzten sich aber vor allem auf Medwedew. Ob er bei der Präsidentschaftswahl 2012 antrete, wurde der seit 2008 amtierende Putin-Nachfolger dreimal gefragt. Medwedew antwortete mit einem Lachen: "Hoffen kann man schon darauf." Konkret äußerte er sich allerdings nicht.

Der einstige Putin-Protegé Medwedew gilt seit seinem Amtsantritt als "Lückenfüller" für Putin, der gemäß Verfassung nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten eine Amtsperiode warten muss, ehe er erneut das Amt des Präsidenten bekleiden darf. Putin amtiert derzeit als Premierminister der Regierung Medwedews. Fischer sprach bei der Pressekonferenz eine Einladung an Medwedew für einen Österreich-Besuch aus. Er sei "in jeder Funktion in Österreich willkommen", betonte der Bundespräsident.

Medwedew "voll und ganz zufrieden"
Im Hinblick auf die Wirtschaftsbeziehungen erklärte Medwedew, er sei "voll und ganz zufrieden mit den Verhandlungen". Der Handelsaustausch mit Österreich habe "gute Parameter" erzielt. Hinsichtlich österreichischer Investitionen habe im Tourismusbereich der Aufbau eines Alpinzentrums im Nordkaukasus Priorität; ebenso hob Medwedew die Austragung der Olympischen Winterspiele und die Fußball-WM hervor. Aber auch am österreichischen Know-how bei alternativen Energiequellen und Energieeffizienz sei man interessiert.

Fischer nannte die Pipeline-Projekte South Stream und Nabucco - Österreich wird beim Erdgas zu 70 Prozent von Moskau versorgt - "beide vernünftig, notwendig und berechtigt". Auch humanitäre Projekte gelte es Medwedew zufolge "auf jeden Fall" weiterzuführen. Österreich genieße etwa bei der Aufarbeitung von historischen Ereignissen und Kriegsgeschehnissen "große Wertschätzung".

Am Abend wollte Fischer noch mit Moskaus neuem Bürgermeister Sergej Sobjanin konferieren. Noch bis Sonntag ist das Staatsoberhaupt auf Besuch in Russland. Die viertägige Reise wird Fischer auch in die westrussische Republik Tatarstan führen.

Traum von Breitspur-Eisenbahn lebt wieder auf
Während die Präsidenten im Kreml staatspolitische Angelegenheiten besprachen, schritten die mitgereisten Politiker und Unternehmer zur Tat. Der größte Event am Donnerstag: Infrastrukturministerin Doris Bures, ÖBB-Chef Christian Kern und ÖBB-Aufsichtsratspräsident Horst Pöchhacker konferierten mit dem russischen Verkehrsminister Igor Lewitin über einen Zwischenvertrag für eine Breitspurtrasse nach Wien samt dort zu errichtendem Güterbahnhof.

Das verkehrspolitische Großprojekt würde den ersten durchgehenden Schienen-Landweg zwischen Russland und Westeuropa öffnen. Hintergrund sind die seit Anbeginn des Eisenbahnzeitalters unterschiedlichen Spurbreiten zwischen West und Ost. Während in Amerika, den meisten Ländern Europas, Ostasien, Australien, Nordafrika und dem Nahen Osten generell auf 1.435 Millimetern Normalspur gefahren wird, benützen sämtliche Länder der ehemaligen Sowjetunion sowie Finnland, das Baltikum und die Mongolei die 1.520-Millimeter-Breitspur. Von Russlands führt die einzige Ost-West-Breitspur-Verbindung derzeit bis zur ukrainischen Grenze und von dort einspurig ins ostslowakische Kosice.

Russland verständigte sich erstmals 2007 mit der Slowakei auf eine Verlängerung nach Bratislava, 2009 wurde dann von Russland, der Ukraine, der Slowakei und Österreich eine eigene Planungsfirma für einen Ausbau bis nach Wien gegründet. Nach dem slowakischen Regierungswechsel 2010 stieg Bratislava allerdings wieder aus, und das historische Projekt galt als vorerst stillgelegt.

ÖBB unterzeichnen neuen Zwischenvertrag
Mit dem neuen Vertrag kurbeln Wien und Moskau das Vorhaben wieder an. Kern unterzeichnete mit dem Chef der russischen Eisenbahngesellschaft RZD, Wladimir Yakunin, ein "Memorandum zur Entscheidungsfindung über Anteil und Finanzierung der Entwicklungsgesellschaft für dieser Projekt". Neben der Ukraine wird auch weiterhin die Slowakei als Entwicklungspartner bezeichnet. Speziell die Finanzierung der 6,5 Milliarden Euro teuren Eisenbahnlinie von Kosice bis nach Wien ist aber bei Weitem noch nicht geklärt, hoffnungsvolle Blicke richten sich auf die EU. Der Terminal bei Wien würde weitere etliche hundert Millionen Euro erfordern.

Mit dem Projekt könnten aber 33 europäische und asiatische Staaten, inklusive China, an eine neue Güterverkehrsachse angebunden werden. Die ökonomische Bedeutung eines solchen Umschlagpunktes für Wien könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, argumentierte Pöchhacker. Statt in fünf Wochen über die Weltmeere könnten chinesische Exporte Westeuropa auf dem Landweg binnen zwei Wochen erreichen (und vice versa). Befürworter vergleichen ein solches Projekt mit der Rolle des Hafens von Rotterdam für die niederländische Wirtn, was das Projekt für den Wirtschaftsstandort und die verkehrliche Anbindung des Landes bedeutet", sagte Bures, die jedoch vorsichtshalber betonte, dass sie am Donnerstag keinen Vertrag über eine Breitspurbahn unterschrieben habe, sondern mit dem russischen Verkehrsminister lediglich eine Vereinbarung über das Lenkungsgremium der Entwicklungsgesellschaft getroffen habe. Binnen eines Jahres sollen Eigentümerstruktur und ein Geschäftsmodell festgelegt werden. Grundsätzlich handle es sich aber um ein "Verkehrsprojekt von eurasischer Dimension, das ein enormes Potenzial hat". Bahn-Chef Kern hatte früher als Zieldatum für das Projekt 2024/2025 genannt.

27 Kooperationsprojekte vereinbart
Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner hat derweil mit seinem russischen Gegenüber, Andrej Fursenko, einen Aktionsplan zur "Modernisierung der Wirtschaft" vereinbart, der den Rahmen für 27 Kooperationsprojekte abgibt. Allein die Realisierung der ersten Projekte aus der vereinbarten Liste solle in den kommenden drei Jahren ein zusätzliches Handelsvolumen von einer halben Milliarde Euro bringen, verkündete Mitterlehner. Die Kernbereiche des Aktionsprogramms umfassen die Energieeffizienz und Energieeinsparung, den Umweltschutz, den Verkehr, die Automobilindustrie, die Bautechnologie und Innovationen. Auch das Innovationszentrum in Skolkowo nahe Moskau ("Russisches Silicon Valley") soll von dem Abkommen erfasst sein.

Der oberösterreichische Flugzeugzulieferer FACC wird mit einem russischen Partner ein Joint Venture zur Produktion von Flugzeugbauteilen gründen, der Grazer Motorenentwickler AVL List beteiligt sich u.a. an der Produktion eines Radschleppers in der russischen Republik Baschkortostan. Und die Montanuniversität Leoben wird mit der Bergakademie St. Peterburg bei verschiedenen Rohstoff-Abbauprojekten kooperieren. Neben den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 biete die Fußball-WM 2018 großes Potenzial für österreichische Investoren: "Wenn wir bei der WM mangels sportlicher Erfolge wahrscheinlich nicht teilnehmen werden, so können wir wenigstens im wirtschaftlichen und technischen Bereich dabei sein."

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