Drei Tage in Wien

Staatsbesuch von Türkei-Präsident Gül als Drahtseilakt

Österreich
02.05.2011 12:56
Ab Montag besucht der türkische Präsident Abdullah Gül Österreich. Ein dichtes Programm in Wien und Salzburg wird bis Mittwoch abgespult. Dass die Visite in Sachen Wirtschaftsangelegenheiten ein Erfolg wird, ist bereits vorprogrammiert. Beim Thema Integration und EU-Beitritt wird es hingegen für beide Seiten ein Drahtseilakt, bei dem Außenstehende nur darauf warten, die Akteure ins Schwanken bringen zu können. Es ist übrigens der erste Staatsbesuch eines türkischen Präsidenten seit 13 Jahren.

Güls Delegation gehören u.a. EU-Minister Ergemen Bagis an sowie Faruk Celik, der Minister für Auslandstürken, der sich als Vertreter der rund 120.000 türkischen Staatsbürger in Österreich, aber auch der 100.000 türkisch-stämmigen Österreicher betrachtet.

Am Montag stehen Gespräche mit Fischer und Parlamentspräsidentin Barbara Prammer sowie Wiens Bürgermeister Michael Häupl auf dem Programm. Am Abend gibt es ein Staatsbankett in der Wiener Hofburg. Am Dienstag werden Fischer und Gül am österreichisch-türkischen Wirtschaftsforum teilnehmen. Anschließend wird Gül mit Bundeskanzler Werner Faymann zusammentreffen. Am Abend werden beide Präsidentenpaare in Salzburg von Landeshauptfrau Gabi Burgstaller empfangen. Am Mittwoch sind ein Besuch von Mozarts Wohnhaus und bei Schönwetter eine Besichtigung der Festung Hohensalzburg vorgesehen. ÖVP-Vertreter wird Gül außerhalb der Wirtschafts-Gespräche und des Staatsbanketts offenbar nicht treffen.

Zum Staatsbesuch wurde Gül von Fischer eingeladen, der im Mai 2008 mehrere Tage mit Gül in der türkischen Hauptstadt Ankara und in den Städten Kayseri und Istanbul verbrachte. Zwischenzeitlich war es dort zu einem kleinen Eklat gekommen, weil Fischer entgegen den kulturellen Gepflogenheiten in der Türkei Güls Ehefrau Hayrünnisa bei einem Fototermin am Arm angefasst hatte. Der Vorfall wurde allerdings nur in türkischen Presse hochstilisiert, zwischen Gül und Fischer kam es zu keinen Verstimmungen.

In Sachen Wirtschaft läuft es blendend
Was die beiden Staaten eint bzw. beim Staatsbesuch bald für Erfolge sorgen wird, ist schnell aufgezählt: Seitens der Präsidentschaftskanzlei und der türkischen Botschaft wurde auf die "ausgezeichneten Wirtschaftsbeziehungen" zwischen Österreich und der Türkei hingewiesen. Österreich sei ein großer Investor in der Türkei und wichtiger Handelspartner. Eine große Rolle in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit spielt der Energiesektor. So erfolgte im Oktober 2010 der Spatenstich für ein 600 Millionen Euro teures OMV-Gaskraftwerk in der nordtürkischen Stadt Samsun.

Österreich profitiert vom derzeitigen Wirtschaftsboom am Bosporus. 2010 hatte die Türkei ein Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent erreicht. Bis Ende 2011 könnten die österreichischen Exporte in die Türkei die Milliardengrenze durchbrechen und Österreich werde zu den Top-5 -Investorenländern zählen. So heikel dieses Kapitel des Besuchs wird, so schwungvoll dürften die Gespräche über die Wirtschaftsbeziehungen verlaufen. Das türkisch-österreichische Handelsvolumen erreichte im vergangenen Jahr 1,5 Milliarden Euro und soll nach türkischem Willen weiter wachsen.

Vorstellungen von Integration gehen auseinander
Weitaus schwieriger als Handels- und Infrastrukturgeschäfte gestaltet sich das Projekt Integration, dem Gül in Österreich aber einige Zeit widmen möchte. Im Laufe seines Besuchs will sich der türkische Präsident sowohl in Wien als auch in Salzburg mit Vertretern der türkischen Gemeinde treffen. Die Türkei unterstütze alle Bemühungen, die zur erfolgreichen Integration der türkischen Zuwanderer in die österreichische Gesellschaft beitragen, hieß es im Vorfeld des Besuchs auf türkischer Seite. Unter Integration versteht Ankara dabei die "aktive Teilnahme am sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben des Gastlandes", aber nicht die Aufgabe der türkischen Sprache und Kultur. Auch die türkische Besorgnis über fremdenfeindliche Angriffe und islamophobe Tendenzen in Europa könnte Gül ansprechen.

Fischer meinte zur Frage der Sprache kürzlich in der austrotürkischen Zeitung "Zaman Österreich": "Sie tun sich leichter, wenn sie unsere Sprache sprechen und verstehen. Ich unterstütze daher die Bemühungen um die Verbesserung der Sprachkenntnisse der türkischen Community in Österreich." Er werde die Gelegenheit des Besuches aber auch nutzen, "um einige deutliche Worte dazu zu sagen, dass ich jeden Fremdenhass und jedes Vorurteil gegen Menschen, deren Wiege nicht in Österreich gestanden ist, ablehne; dass das Prinzip der Religionsfreiheit für alle in Österreich gesetzlich anerkannten Kirchen gilt, und dazu zählt auch der Islam".

Spindelegger erwartet Aufforderung Güls an Austrotürken
Außenminister und Vizekanzler Michael Spindelegger, der kein gesondertes Zusammentreffen mit Gül hat, erwartet sich vom Österreich-Besuch Güls eine klare Integrationsaufforderung an die in Österreich lebenden Türken. Integration sei für diese Gruppe eine "absolute Notwendigkeit". Dazu gehören der Spracherwerb und die Einhaltung der in Österreich geltenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. So werde etwa die Unterdrückung von Frauen hierzulande nicht geduldet, sagte der ÖVP-Chef am Wochenende.

Er erwarte sich von Gül, dass dieser das gleiche sage, was er schon im Vorjahr in der Türkei, als Spindelegger dort zu Besuch war, gesagt habe: Eine Aufforderung in die Richtung, dass für Menschen mit türkischem Hintergrund "Integration eine absolute Notwendigkeit ist". "Wenn man die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht akzeptiert, wird man immer ein Außenseiter bleiben", so der VP-Chef.

Gül will Österreichs Unterstützung für EU-Beitritt der Türkei
Auf dem diplomatischen Drahtseil wird auch beim Thema EU-Beitritt balanciert, der in Österreich bei allen Parteien Gegner findet. Ausführlich will Gül, der früher Außenminister war und als solcher viel Kontakt mit österreichischen und europäischen Poltikern hatte, in Wien das türkische EU-Beitrittsstreben erläutern und dabei insbesondere versuchen, österreichische Ängste vor einem Zustrom von Türken zu entkräften. Solche Ängste seien "archaisch", heißt es in Ankara mit Verweis auf die Tatsache, dass sich der Migrationsstrom bereits umgekehrt hat und die Türkei zum Zielland von Zuwanderern aus West und Ost geworden ist.

Die Unterstützung der österreichischen Öffentlichkeit sei "unabdingbar" für den türkischen Beitritt, glauben türkische Diplomaten. Gül dürfte auch mit dem Zugewinn an internationalem Gewicht und Einfluss argumentieren, den die EU mit einer Erweiterung um die Türkei erfahren würde. In Österreich gibt es nach wie vor laute Stimmen, bei einer Beitrittsreife der Türkei in jedem Fall trotzdem eine Volksbefragung bzw. sogar eine für die Regierung verbindliche Volksabstimmung durchzuführen.

Zum EU-Beitritt äußerte sich Fischer zurückhaltend. Die Türkei sei ein Land mit mehr als 70 Millionen Einwohnern, daher werde in der Europäischen Union besonders kritisch beobachtet, "ob dieses große Land in vollem Umfang für den EU-Beitritt reif ist" und ob andererseits die EU für die Aufnahme eines so großen Landes reif sei. "Ich wage daher keine Prognose zum Thema EU-Beitritt der Türkei, aber ich trete dafür ein, dass die Verhandlungen sachorientiert und mit offenen Karten geführt werden", so der Bundespräsident.

FPÖ kündigt Protestaktion gegen türkischen Botschafter an
Wie ein Damoklesschwert schwebt über dem Staatsbesuch der von vielen Österreichern noch nicht vergessene Eklat um den türkischen Botschafters Kadri Ecvet Tezcan. Dieser hatte im vergangenen Jahr in einem Zeitungsinterview unter anderem die damalige Innenministerin Maria Fekter als Fehlbesetzung für die Integrationspolitik bezeichnet und den Österreichern vorgeworfen hat, sie seien außer im Urlaub nicht an anderen Kulturen interessiert, und erschwerten dadurch die Integration der Türken.

Die türkische Regierung ließ den Botschafter trotz verhaltenen Protestes der heimischen Politik im Amt. Nachdem Tezcan dann eine diplomatische Charme-Offensive startete, verzichtete auch die Bundesregierung auf weitere Protestmaßnahmen. Gerüchte, wonach Gül bei seinem Besuch einen neuen Botschafter mitbringen könnte, wurden vor dem Wochenende von allen Seiten dementiert.

Mit dem Eklat um die Botschafter-Aussagen will aber nun die FPÖ den türkischen Präsidenten bei seinem Besuch konfrontieren. Parteichef Heinz-Christian Strache verkündete beim Mai-Fest der FPÖ am Sonntag, dass einn, kündigte Strache an. FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky werde Gül eine "diplomatische Protestnote" überreichen, in der die Abberufung Tezcans gefordert wird, weil er mit seinen Aussagen die Österreicher beleidigt habe.

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