Goebbels' Hetzfilm

Tobias Moretti in “Jud Süß – Film ohne Gewissen”

Kino
22.09.2010 12:45
Joseph Goebbels war begeistert. "Der erste wirklich antisemitische Film", notierte der NS-Propagandaminister 1939 in sein Tagebuch, als er die ersten Drehbuchentwürfe für den von ihm in Auftrag gegebenen Film "Jud Süß" gelesen hatte. Die Geschichte dieses 1940 in Venedig und Berlin uraufgeführten Films von Veit Harlan mit Stars wie Ferdinand Marian, Heinrich George, Kristina Söderbaum und Werner Krauß erzählt Regisseur Oskar Roehler nun in "Jud Süß - Film ohne Gewissen". In den Hauptrollen: Tobias Moretti, Moritz Bleibtreu und Martina Gedeck.

Harlans "Jud Süß", der die historische Figur des württembergischen Juden und herzöglichen Finanzberaters Joseph Süß Oppenheimer (1692-1738) zum Anlass für einen Hetzfilm mit antisemitischen Klischees und Stereotypen über den "schmierigen Juden" wie Habgier, Ausbeutung, Feigheit und Hinterlist nimmt, war seinerzeit mit 20 Millionen Zuschauern ein großer Publikumserfolg in Europa. Er wurde auch bewusst in den von Deutschland besetzten Gebieten gezeigt, um die dortigen Massenmorde an der meist jüdischen Bevölkerung zu rechtfertigen. Nach dem Krieg wurde der Film von den Alliierten verboten. Später galt und gilt er als sogenannter "Vorbehaltsfilm", der nur mit Zustimmung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und nur mit wissenschaftlicher Begleitung öffentlich aufgeführt werden darf, ein Vertrieb ist nicht gestattet.

Zwischen Künstlerkarriere und politischem Opportunismus
Für Roehler geht es bei seinem Spielfilm mit Schauspielern wie Moritz Bleibtreu als Goebbels, Tobias Moretti als Marian, Martina Gedeck, Armin Rohde (als Heinrich George), Justus von Dohnanyi und Robert Stadlober um die Verführbarkeit von Intellektuellen und die "Erotik der Macht" vor allem in diktatorischen Zeiten. Darin knüpft er auch an den oscarprämierten deutsch-ungarischen Film "Mephisto" von Istvan Szabo (1981) mit Klaus-Maria Brandauer an, der nach dem Roman von Klaus Mann ebenfalls die Verstrickung eines populären Schauspielers im Dritten Reich zwischen Künstlerkarriere und politischem Opportunismus darstellte - Mann hatte dabei den von den Nazis hofierten Schauspielstar Gustaf Gründgens im Visier.

Marian mit "Gänsehaut erzeugender Bösartigkeit"
Im Falle "Jud Süß" war es Ferdinand Marian. Der aus Wien stammende Schauspieler wurde damals als "südländischer Typ" besonders gern als "exotischer Liebhaber" besetzt. 1939 wurde Nazi-Propagandaminister Goebbels auf ihn aufmerksam, als er Marian am Deutschen Theater Berlin als Jago in Shakespeares "Othello" sah und von dessen "Gänsehaut erzeugender Bösartigkeit" begeistert war.

Der eigentlich politisch desinteressierte Ufa-Star und Frauenschwarm ("La Habanera" mit Zarah Leander, "Romanze in Moll", "Münchhausen") wurde durch diesen Propagandafilm der Nazis zu einer tragischen Figur des deutschen Films. Nach dem Krieg erhielt er Berufsverbot. 1946 kam er unter ungeklärten Umständen bei einem Autounfall ums Leben kam. Eigentlich hatte er sich wie zuvor schon viele andere prominente Kollegen wie Emil Jannings, Gustaf Gründgens, René Deltgen, Willi Forst und Paul Dahlke gesträubt, an "Jud Süß" mitzuwirken. "Er will nicht recht heran, den Juden zu spielen", notierte Goebbels in seinem Tagebuch. "Aber ich bringe ihn mit einigem Nachhelfen doch dazu." Warum solch ein "Nachhelfen" bei den anderen prominenten Schauspielern offenbar nichts gefruchtet hat, ist nicht überliefert.

Unbestritten bleibt die geschickte Machart des Films, der ausdrücklich nicht als purer Propagandafilm (wie zum Beispiel "Der ewige Jude" von Fritz Hippler von 1940), sondern als Unterhaltungsfilm wirken sollte. Was Regisseur Harlan auch erreichte. Die Zuschauer waren nach den Premieren in Venedig und Berlin 1940 nach übereinstimmenden Überlieferungen äußerst angetan von dem Film, der später als einer der geistigen Wegbereiter des Holocaust angesehen wurde.

Und das sagt "Krone"-Kinoexpertin Christina Krisch zum Film:
Sie ist immer eine diffizile Gratwanderung, die kritische Aufarbeitung des Antisemitismus. Dass sich Roehler zur gewagten Form der Groteske entschließt, ist riskant und verstört nachhaltig. Die schrille Satire über Künstler als Marionetten lässt den gebotenen Ernst vermissen und gefällt sich, wohl inspiriert vom themenaffinen  Tarantino-Effekt, als zweifelhaft-schräge und theatralische Posse rund um eine dekadente Führerkult-Perversion, die zudem mit Unwahrheiten aufwartet, war doch Marians Ehefrau (Gedeck) keine Halbjüdin. Legendenbildung ohne Gewissen?

von Wilfried Mommert (dpa) und krone.at
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