Massenmord-Beihilfe

Zwei Jahre Haft auf Bewährung für Ex-KZ-Wachmann

Ausland
24.07.2020 12:18

In einem der voraussichtlich letzten Prozesse wegen der Massenverbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus ist am Donnerstag ein 93-jähriger Ex-KZ-Wachmann zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Bruno D. erhielt vom Hamburger Landgericht eine Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung, weil er 1944 und 1945 achteinhalb Monate zur Mannschaft des KZ Stutthof gehörte. Zum Zeitpunkt der angeklagten Taten im Vernichtungslager Stutthof in der Nähe von Danzig war D. erst 17 Jahre alt. Er wurde wegen Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen schuldig gesprochen. Zudem verurteilte das Gericht den Angeklagten in einem Fall wegen versuchten Mordes an einem Gefangenen.

Im Lager Stutthof nahe Danzig hatte die SS im Zweiten Weltkrieg mehr als hunderttausend Menschen unter erbärmlichsten Bedingungen gefangen gehalten, unter ihnen viele Juden. Etwa 65.000 Menschen starben. Stutthof war berüchtigt für die absichtlich völlig unzureichende Versorgung. Die meisten der Gefangenen starben an Krankheiten und Entkräftung.

Richterin: „Befehl befreit Sie nicht von Schuld“
D. habe der Lagerleitung „jeden Tag“ bei der Umsetzung des Massenmordes Hilfe geleistet und sich noch vor Gericht darauf berufen, nur Befehlen gefolgt und wenig mitbekommen zu haben, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring. Das sei widerlegt. „Sie sehen sich weiter nur als Beobachter - dabei waren sie Gehilfe dieser menschengemachten Hölle.“ Ein Befehl „befreite und befreit Sie nicht von Schuld“. Auch habe der Angeklagte nach fester Überzeugung des Gerichts um den „Massenmord durch lebensfeindliche Bedingungen“ in dem Lager gewusst. Dies gelte ebenso für die in einer Gaskammer und einer Genickschussanlage verübten Morde. Jedem in Stutthof sei all dies bewusst gewesen. „So sehr konnten sie damals gar nicht wegsehen.“

Urteil nach „langem Ringen“ gefällt
Der Angeklagte sei kein glühender Nationalsozialist gewesen, habe sich jedoch wie Millionen anderer Deutsche damals „in den Sog der Entmenschlichung“ hineinziehen lassen, sagte die Richterin in ihrer teilweise beißenden Urteilsbegründung. Konfrontiert mit dem „entsetzlichen Unrecht“ des Vernichtungslagers Stutthof habe er sich angepasst und nicht versucht, sich dem Dienst zu entziehen. Die Entscheidung für eine Bewährungsstrafe habe das Gericht nach „langem Ringen“ getroffen, ergänzte die Richterin. So müsse unter anderem berücksichtigt werden, dass der Angeklagte damals erst 17 bis 18 Jahre alt gewesen und im NS-Unrechtsstaat aufgewachsen sei. Bruno D. hatte am Montag in seinem Schlussplädoyer um Entschuldigung für seine Taten gebeten.

Vertreter der Nebenklage begrüßten den Schuldspruch als „wichtiges Signal“, äußerten teils aber auch Kritik an der Strafaussetzung zur Bewährung. „Ich glaube nicht, dass das bei den Nebenklägern auf Zufriedenheit stößt“, sagte Anwalt Christoph Rückel. Am Ende sei ein Schuldspruch für sie aber „viel wichtiger als die Höhe der Strafe“. Die Nebenkläger seien nicht auf „Rache“ aus. Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre Haft gefordert, die Verteidigung einen Freispruch. Sie ließ offen, ob sie in Berufung geht.

Wiesenthal-Zentrum kritisiert Bewährungsstrafe
Scharfe Kritik an der Bewährungsstrafe kam vom „Nazi-Jäger“ Efraim Zuroff. Sie sei „sehr, sehr enttäuschend“ und „ein Syndrom deplatzierter Sympathie“, erklärte der Leiter des Wiesenthal-Zentrums. Nicht der SS-Mann, sondern die Holocaust-Opfer verdienten Sympathie. „Er wird den ganzen Weg nach Hause lachen, sein Leben fortsetzen. Die Überlebenden bleiben mit ihren Albträumen zurück.“

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