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Martin Grubinger: „Hauptsache, die Kugel rollt“

Salzburg
31.05.2020 06:00

Ich bin süchtig. Ich gestehe und gebe das freimütig zu. Ich bin süchtig nach Fußball!

Es ist mein einziges Laster, meine Leidenschaft. Ich passe Unterrichtszeiten, Übezeiten, Probenpläne und Konzertvereinbarungen den großen Spielen meiner Lieblingsmannschaft an. Wenn die Kicker des FC Bayern irgendein Fußballstadion bespielen, bin ich entweder im Stadion, ganz bestimmt aber via TV mit dabei.

Als wir in den vergangenen Monaten alle im Corona-Lockdown, der behördlich verordneten Quarantäne, verharrt sind, hat fast jeder nach einigen Wochen des Verzichts gespürt, welche Gewohnheiten im Besonderen fehlen. Die wöchentliche Jogging-Runde mit Freunden, der scharfe Diskurs am Stammtisch, die gewohnten Besuche bei Verwandten oder das gemeinsame Erlebnis, Musik zu hören. In meinem Fall war es König Fußball.

Auf mich hat der rollende Ball eine magische Wirkung. Das Spiel inspiriert, entspannt, emotionalisiert mich zugleich. Mit dem Innen- oder Außenrist dem Ball eine Drehung geben, sodass der entweder im Tor, im freien Raum der gegnerischen Mannschaft oder am Fuß des Mitspielers landet. Von diesen Momenten träume ich manchmal.

Taktische Grundordnungen, Timing im Konter, Pressingformationen, pädagogische Kniffe der Trainer, um ihre Spieler im richtigen Moment zu Höchstleistungen zu bringen. Ich könnte ständig Fußball spielen, über Fußball reden oder, einer meditativen Übung gleichend, das Spiel stundenlang beobachten.

Der Corona-Lockdown hat mir also in mehrfacher Hinsicht Probleme bereitet. Ich konnte meiner Arbeit als Musiker nicht nachgehen - und den Fußball hat mir Corona auch genommen. Wie gut, dass die deutsche Bundesliga seit jetzt zwei Wochen wieder ihren Spielbetrieb aufgenommen hat. Natürlich ohne Fans im Stadion - aber egal: Hauptsache, die Kugel rollt.

Natürlich war ich nun gespannt, wie dieser Fußball ohne Fans, die ihre Mannschaft vorwärts peitschen, die das eigene Stadion in einen Hexenkessel verwandeln und somit massiven Einfluss auf beide Mannschaften und die Leistung des Schiedsrichters nehmen, aussehen würde. Und nach jetzt drei „Post-Corona-Spieltagen“ lassen sich einige Erkenntnisse gewinnen.

Das Wichtigste vorweg: Das Spielniveau ist durchaus ansehnlich. Jene Mannschaften, die davor schon mit klaren Spielideen, hochtrabend von den Trainern „Spielphilosophie“ genannt, spielten, haben Vorteile. Sie dominieren, bestückt mit individuell guten Fußballern, die Szenerie. Sie sind weniger abhängig von einer emotional aufgeladenen Atmosphäre, von tobenden Fans, die ihr Team antreiben. Sie rufen ihre Automatismen aus dem Training ab, folgen ihren Matchplänen und setzen auf die Kreativität ihrer Offensivkräfte.

Bayern, Dortmund, Leverkusen und Leipzig haben durch den internen Konkurrenzkampf in ihren Trainingsspielen ein Niveau, das, angereichert mit der nötigen Härte im Spiel, tolle Spiele erschafft. Anders Adi Hütters Frankfurter, Schalke und kleinere Teams aus dem Tabellenkeller. Da spürt man in jedem Moment, dass die Essenz der Fans das eigene Spiel behindert und im wahrsten Sinne ausbremst. Mannschaften, die auf Tugenden wie Kampfkraft, Moral, physische Stärke und Leidensfähigkeit der Spieler setzen, fühlen sich in diesen leeren Stadien offenbar verloren und verlassen.

Und es gibt weniger Theatralik, weniger Schwalben, weniger Rudelbildungen um den Referee, weniger Platzverweise. Mehr Netto-Spielzeit, mehr Spielfluss. Alles in allem sind alle Beteiligten entspannter. Und trotzdem: Erst wenn wir Fans wieder mit Bratwurst und einem Becher Bier unsere Helden anfeuern werden können, ist Corona für mich offiziell überwunden. Bis dahin begnüge ich mich mit televisionärer Fußball-Meditation.

Ihr Martin Grubinger

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